Verehrte Verehrerin

Herta Hausmanns Französisch hat einen harten Klang bewahrt. Auch nach über fünfzig Jahren Frankreich. Die zwanzig deutschen Jahre sind nicht verklungen. Ihr Vater, Reichsbahndirektion, war deutscher Jude. Ihre Mutter, fünfzehn Jahre jünger als der Mann, kam aus Wien. Leichtsinn: „Es war doch kommen zu sehen.“ Ein kunstbeflissenes Haus wurde in wechselnden deutschen Städten, München und Nürnberg, geführt, Abende mit Klavier. Die Tochter will eigene Kunst. Studiert bei - „oder heißt es: unter?“ - Prätorius in München. Erhält 1937, gerade volljährig, ein Visum für Paris. Aufhänger ist die Weltausstellung.

Herta mit dem Boulevardhausnamen bleibt in Frankreich. Studiert an der Ecole des Beaux Arts, verkehrt in „Emigrantenkreisen“, bekommt Spanien anders als im Nazideutschland mit und auch die „entartete Kunst“ der Surrealisten. Wird interniert im unbesetzten Frankreich. Seit Kriegsende wieder Paris. Und französische Staatsbürgerschaft. Wenn Herta Hausmann fotografiert wird, will sie an ihre Mutter erinnert werden: „Weil ich dann lächeln muß.“

Von ihren Freundinnen spricht sie wenig „Boyfriends und auch gelegentlich Girlfriends.“ Der Tom aus Amerika, „vollkommen verrückt, ein herrlicher Mann“. Sie verehrt Männer, die sie verehren: Adolf Herbst, der „seine Liebesakte im Kopf und in seinen Bildern gemacht hat“. Der ihr graue Kleidung empfiehlt und in die Bilder hineinmalt: „So sind Lehrer nun mal.“ Hans Reichel, der Schweizer Maler, dem seine Internierung Hoffnung austreibt. „Rencontre-choc“ mit dem russischen Bildermann Nicolas de Stael, der ihre Malerei beeinflußt. Sie ist Vertraute, soll vermitteln zwischen ihm und einer Apothekersgattin. Mit einundvierzig Jahren springt er in Antibes vom Balkon. „Wohl ein Kopfsprung.“

Sie ist immer die Jüngere, überlebt die anderen: So Unica Zürn, die auf ein Autodach fällt. Und auch deren (und ihren) Freund Hans Bellmer. Dem verzeiht sie nicht den Grabspruch für Unica: „Meine Liebe, ich werde dir folgen in die Ewigkeit“. Das paßt Herta nicht ins Bild vom Puppenkünstler voller erotischer Phantasmen und Ungläubigkeit. Und dem Centre Pompidou verzeiht sie nicht die lieblose Magazinierung der Bellmerschen Gliederfigur. Denn sie ist Geliebte, Anwältin, Vermittlerin, Vertraute über den Tod hinaus. Auch bei der Betreuung der Monografie über Hans Reichel: Stiller Kampf gegen dessen „Witwe“.

Herta Hausmann malt weiter, gerne Landschaften. Gerne in halben Tönen, schwebenden Farben. Gerne auf Reisen. Von den Bildern lebt sie und von einer Entschädigung für die Kriegszeiten. Seit den Fünfzigern bewohnt sie im Pariser Elften ein Hinterhof-Atelier. Was im Französischen tatsächlich Werkstatt meint und auch war. Mit dreieckigen Glasdächern, durch die in Filmen Verfolgte oder unliebsame Beobachter abstürzen. Bis Herta sich einbaute. Mit verschiebbaren Stoffbahnen, um das Licht zu regulieren und die Blicke.

Aber die Dusche ist nicht zu lüften. Die Aquarelle leiden. Gekocht wird auf einer fingerdicken, rotglühenden Elektroschnecke. Herta Hausmann will raus. Mit mehr Komfort und höher wohnen. „Damit die Bourgeois aus den oberen Etagen nicht mehr auf mich herunterschauen.“ Die Werkstatt ver- und eine richtige Wohnung kaufen. Der Makler führt ihr Interessenten zu. Herta Hausmann packt. Sichtet nach Jahrzehnten. Will Ballast loswerden. Nimmt keine Geschenke mehr, die nicht zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt sind. Wirft weg und findet.

Auch eine Wohnung. In einem neuen Hochklotz, der sich in eine schmale Straße gedrängt hat. Eingang wie ein Hallenbad. Außer der weißen Concierge ein schwarzer Mann für Vorgartenschlauch und Gröberes. Escalier B, fünfte Etage, linker Aufzug, die Tür direkt gegenüber. Von Appartmemt dann ein weiter Blick auf die noch nicht betonierte Nachbarschaft und Hinterhöfe. Herta Hausmann ist aufgestiegen. Nicht weit von ihrem alten Viertel.

Der „Triumph der Republik“ ist nach wie vor um die Ecke: Dalous pathetisches und Herta liebes Momument auf der Nation. Näher gerückt ist der Friedhof Pere Lachaise. Wo nicht nur Hans und Unica ruhen, sondern zum Beispiel auch Victoir Noir, erschossener kritischer Journalist des letzten Jahrhunderts, realistisch von - wiederum - Dalou hingelegt. Die Legende will, daß das Streicheln des blankberührten Hosenschlitzes Fruchtbarkeit bewirkt. Herta Hausmann sitzt im Augenblick am Atlantik und malt.

Text und Fotos: Christoph Busch