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„Die Koreaner wollen einen langsamen Aufbau der Demokratie“

Kim Dae-Jung, Oppositionsführer und Vorsitzender der „Partei für Demokratie und Frieden“ (PPD), zu den Olympischen Spielen und zu seinem Verhältnis zur Regierung  ■ I N T E R V I E W

taz: Sie hatten gerade ein Gespräch mit IOC-Präsident Samaranch. Hat er Sie gebeten, mäßigend auf die oppositionellen Studenten einzuwirken?

Schon in der Vergangenheit hat er uns darum gebeten, und wir haben zugestimmt. Ich glaube aber auch nicht, daß unsere Studenten die Spiele ernsthaft stören werden.

Ihre Partei hat vor zwei Wochen dem sogenannten Friedensplan der Regierung zugestimmt, mit dem in großen Teilen des Landes ein Demonstrationsverbot erlassen wurde. Die Studenten demonstrieren aber gegenwärtig vorrangig für die Freilassung der politischen Gefangenen. Haben Sie das vergessen?

Als ich mich am 28.August mit Roh Tae-Woo traf, war eine meiner Hauptforderungen, daß die politischen Gefangenen möglichst bald freigelassen werden. Wir haben dabei bereits einige Vereinbarungen getroffen, das wissen auch die Studenten.

Wie viele politische Gefangene gibt es?

Es sind 700. Einige Vertreter der Regierung sagen zwar in der Öffentlichkeit, daß die Zahl nicht so hoch sei, doch in inoffiziellen Gesprächen mit uns nennen sie fast die gleiche Zahl.

Wieweit sind Ihre PPD und die Regierungspartei denn in der Frage der Wiedervereinigung voneinander entfernt?

Roh hat zugestimmt, nach den Olympischen Spielen einen Studentenaustausch zu unterstützen und Gespräche mit Nordkorea aufzunehmen.

Meinen Sie nicht, daß nach den Spielen, wenn die Weltöffentlichkeit nicht mehr zuschaut, sich die innenpolitische Lage in Südkorea wieder verschärfen wird?

Ich glaube, große Teile des Militärs haben erkannt, daß es nicht ihre Rolle ist, Politik zu machen. Es gibt keinen militärischen Führer, der das gegenwärtig versuchen wollte. Ich leugne nicht, daß es noch einige Hardliner in der Regierungspartei und im Militär gibt. Doch kann in diesem Land keine radikale Gruppe mehr - auf der anderen Seite auch nicht die Studenten - die Richtung der Politik massiv ändern.

Könnten Sie das bitte mal konkretisieren. Wie stark ist der Einfluß dieser militärischen Hardliner denn noch in der täglichen Politik?

Immer noch sehr stark, das leugne ich nicht. Aber aus drei Gründen glaube ich, daß künftig diese Leute keine Rolle in der Politik mehr spielen werden. Erstens sind sie politisch bewußter geworden. Zweitens, nur wenn Roh Tae-Woo eine Demokratie entwickelt, kann er sicher sein, daß weder rechte Militärs noch die radikale Opposition seine Politik angreifen. Er braucht also Demokratie, um zu überleben. Und drittens glaube ich, daß die USA so lange die Diktatur in diesem Land unterstützt haben, daß sie jetzt nicht mehr dulden würden, daß militärische Hardliner an die Macht kämen. Denn das würde den Antiamerikanismus in unserem Land auf ein unerträgliches Maß steigern.

Früher haben die Studenten für Sie gekämpft, heute werden Sie von den Studenten kritisiert, weil Sie zu viele Kompromisse mit dem Regierungslager machen.

Nein, ich habe der Regierung nie ein großes Zugeständnis gemacht. Doch in den Parlamenstwahlen haben wir die Mehrheit der Abgeordneten bekommen. Jetzt müssen wir auch Verantwortung übernehmen. Wie Sie wissen, standen nicht viele Leute hinter den jüngsten Aktionen der Studenten, zur Grenze zu marschieren ...

... haben Sie sie denn unterstützt?

Ja, wir haben auch die Regierung gebeten, die Gespräche der Studenten an der Grenze mit Nordkorea zu dulden. Das ändert nichts daran, daß viele Leute dagegen waren und die Regierung letztlich die Aktionen mit Gewalt unterdrückt hat. Schließlich habe ich die Studenten gebeten, ihre Pläne auf die Zeit nach den Spielen zu verschieben.

Natürlich weiß ich, daß einige radikale Studenten gegen mich sind. Aber einen radikalen Kurs, der nordkoreanische Ideen unterstützt, vermag ich nicht zu akzeptieren. Jüngste Meinungsumfragen zeigen, daß meine Partei und ich von den Koreanern am meisten unterstützt werden.

Sie sagen, daß nach Meinungsumfragen die Mehrzahl der Bevölkerung auf Ihrer Seite stände. Bereuen Sie jetzt, daß Sie sich im letzten Jahr von der Partei Kim Young-Sams getrennt haben?

Natürlich bereue ich das. Doch es war nicht der Hauptgrund, warum wir die Wahl verloren haben. Das ist vor allem dem massiven Wahlbetrug zuzuschreiben, den die Regierungspartei unternommen hat. 1961 hatte ich eine genauso große Unterstützung vom Volk und war der einzige Oppositionskandidat, trotzdem verloren wir. In diesem Land gibt es noch immer keine lokale Autonomie, alle Beamten bis zu 700.000 - werden vom Präsidenten ernannt oder direkt kontrolliert.

Wenn Roh die Wahlen gefälscht hat, glauben Sie denn, daß man ihm jetzt trauen kann?

Ich habe nur gesagt, daß ich ihm helfen werde, wenn er eine Demokratie aufbaut. Die Leute in Korea wollen Stabilität und einen gemäßigten Aufbau der Demokratie, das kann ich nicht mißachten.

Wird in dem Untersuchungsausschuß zur Aufklärung des Kwangju-Massakers wirklich versucht, die Verbrechen der Chun -Diktatur aufzuarbeiten?

Ich habe Roh Tae-Woo gesagt: Wenn ihr den Geist der fünften Republik überwinden wollt, müßt ihr mindestens drei Aufgaben bewältigen: die politischen Gefangenen freilassen, das Kwangju-Massaker aufklären und alle Korruptionsfälle um Chun untersuchen. Wenn ihr das nicht schafft, haben wir keinen Gradmesser für die Ernsthaftigkeit einer Demokratisierungsbemühung.

Und was hat er dazu gesagt?

Nach einigem Hin und Her hat er zugesichert, daß sich seine Partei um den Chun-Skandal kümmern wird. Und wie mittlerweile den Zeitungen zu entnehmen war, hat die Regierungspartei eine Arbeitsgruppe gegründet, in der die Verbrechen ihres früheren Parteiführers untersucht werden sollen.

Roh war General unter Chun Doo-Hwan. Er soll mitverantwortlich für das Massaker in Kwangju sein. Können Sie ihm überhaupt trauen?

Ja, er war einer der Hauptträger des Regimes von Chun, doch wenn er sich wirklich ändert und eine Demokratie aufbaut, müssen wie ihn akzeptieren, da die Koreaner Stabilität gewählt haben und eine langsame Transformation zur Demokratie bevorzugen. Wir werden ihn aber jederzeit bekämpfen, wenn er nicht ernst macht mit der Demokratisierung.

Warum sind Sie dagegen, daß Chun Doo-Hwan für seine Verbrechen in seiner Regierungszeit verurteilt wird?

Bestrafung ist nicht der beste Weg, eine Demokratie zu erhalten. Das wichtigste ist, die teuflischen Fehler der Vergangenheit nicht wieder zu begehen. Diese Ansicht resultiert vor allem aus meinem christlichen Glauben.

Wird es nach diesen olympischen Spielen noch eine Chance geben, daß sich die beiden Koreas näherkommen, oder haben die letzten Wochen nicht beide Länder noch weiter entzweit?

Ich glaube, der Dialog kann nach den Spielen wiederaufgenommen werden. Auch der Norden hat sich in den letzten Tagen dialogbereit gezeigt und neue Treffen angeboten. Dabei hoffe ich auch auf die Hilfe von China und der UdSSR, die beide auf die Dialogbereitschaft des Norden einwirken werden.

Nordkorea sagt, erst müßten die mehr als 40.000 amerikanischen Soldaten aus Südkorea abziehen, bevor man über Wiedervereinigung reden könne.

Die meisten Koreaner denken, daß die USA-Truppen eines Tages abziehen müssen. Aber nicht jetzt. Denn wir leben theoretisch immer noch im Kriegszustand.

Und wie kann soziale Gerechtigkeit in Sükorea hergestellt werden?

Wir müssen ein System der sozialen Versorgung aufbauen, das aber unser wirtschaftliches System nicht zerstört und unsere Leute nicht faul macht. Durch ein neues Arbeitsgesetz wollen wir auch die Gewerkschaften absichern. Gleichzeitig darf der Lohnanstieg jedoch nicht überzogen werden, wenn wie konkurrenzfähig bleiben wollen.

Viele sagen, daß die Olympischen Spiele nur die Reichen und die großen Konzerne noch reicher machen. Was halten Sie davon?

Die kleinen Leute sind in der Tat nicht sehr begeistert. Chun Doo-Hwan hat die Idee der Olympischen Spiele zu sehr für seine Militärdiktatur mißbraucht. Für die Spiele wird soviel ausgegeben, daß die armen Leute denken: nicht für uns. Trotzdem glaube ich, daß es keine großen Demonstrationen gegen die Spiele geben wird. Das halte ich auch für gut so.

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