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Im Zweifel für wen?

■ Polizist vom Vorwurf der Ausländerbeleidigung freigesprochen / „Zweifel an der Wahrnehmung“ der Zeugin

„Ich lebe seit 15 Jahren in Berlin, aber diese Worte werde ich mein Leben nicht vergessen.“ Mit tränenerstickter Stimme schilderte gestern eine 36jährige Türkin als Zeugin vor dem Amtsgericht, daß sie im Januar 1988 von einem Polizeiobermeister und seiner Ehefrau als „Nutte und Ausländerschwein beschimpft“ worden sei. Der Prozeß, in dem sich der Polizist wegen Beleidigung und seine Ehefrau darüberhinaus wegen Volksverhetzung verantworten mußte, endete mit Freispruch. Während der Staatsanwalt von der Schuld der Angeklagten „felsenfest“ überzeugt war und 2.400 beziehungsweise 3.600 Mark Geldstrafen forderte, hatte das Gericht Zweifel an den Wahrnehmungen der Zeugin - aufgrund ihrer „Erregung„- gehegt.

Die Türkin hatte geschildert, daß sie ihr Auto gerade habe einparken wollen, als sie von dem BMW, in dem die beiden Angeklagten gesessen hätten, eingekeilt worden sei. Der Fahrer des BMW, der sich später als Polizist in Zivil entpuppte, habe ihr mehrmals den erhobenen Zeigefinger entgegen gehalten und sie wüst beschimpft. Seine Beifahrerin habe mit gleichfalls erhobenem Finger gerufen „solche Ausländer wie euch hätte man früher erschossen, heute sollte man es auch tun“. Die Angeklagten, die die Vorwürfe vehement bestritten, hatten dem Gericht gestern überraschend einen Zeugen präsentiert, der mit im BMW gesessen habe soll. Der Mann, von dem in den Akten bislang nicht die Rede war, sagte aus, keine Beleidigungen gehört zu haben. Die Türkin wußte nicht zu sagen, ob sich in dem BMW noch eine weitere Person befunden habe. Der Staatsanwalt kündigte Rechtsmittel gegen das Urteil an: seine Erfahrung sage ihm, daß die Zeugin keine „Lügnerin“ sei.

plu

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