: Kuba Libre in London oder: Ein unheimlich starker Abgang
Fakten und Fiktion über die „Notwehr“ des kubanischen Handelsattaches gegen seine Geheimdienstverfolger in London ■ Aus London Rolf Paasch
Für Carlos Medina Perez war es ein ganz gewöhnlicher Morgen. Seitdem sein kubanischer Diplomatenkollege Florentino Azpillaga im Juni in Prag zum CIA übergelaufen war, hatte er sich an die dilettantische Beschattung des britischen Geheimdienstes MI5 gewöhnt. Azpillaga, der dem CIA als Kontrolleur von Doppelagenten eine Menge unerfreulicher Dinge erzählt hatte, war - das wußte auch Carlos Perez seitdem auf einem missionarischen Trip. Wenn alle kubanischen Agenten zum Westen überlaufen würden, so träumte das vom CIA gewaschene Gehirn Azpillagas, dann wäre Castro bald weg von seiner Zuckerinsel.
Doch Carlos Perez dachte nicht daran, auf das Überlaufangebot seines Kollegen einzugehen. So schlecht ging's den Seinen zu Hause und ihm unter Castro doch gar nicht. Und beim Shopping in der Bond Street kam er auch ohne das dreckige Geld der westlichen Geheimdienste aus. Als er aus der Auffahrt zu seiner Wohnung herausbog, hängte sich der Wagen des MI5 wie üblich gleich an ihn dran. Aber was war los, diesmal saßen vier Figuren, darunter auch Azpillaga, in dem Fahrzeug, das unvermutet so dicht auf ihn auffuhr, daß... Und da kam in ihm plötzlich alles hoch: die Einsamkeit des Diplomatenlebens, nur unterbrochen von gelegentlichen Puffbesuchen und Small talks mit steifen Engländern auf todlangweiligen Cocktailparties; und jetzt wollten die ihn auch noch...Blitzschnell zog er seinen Revolver und feuerte auf seine Verfolger. Hinter ihm hörte er das Quietschen der Reifen, sah, wie sich seine Verfolger aus dem Wagen rollten und Deckung suchten. Einer sprang in seiner Verzweiflung gar auf einen vorbeifahrenden Bus der Londoner Verkehrsbetriebe. Carlos Perez dagegen fand sich auf der Polizeiwache wieder, wo er Scotland Yard von seiner Notwehr berichtete. Vergeblich.
Erst als er auf dem Flughafen auf seinen Chef, Botschafter Dr.Mell, traf, wurde ihm die ganze Bedeutung seiner Kurzsch(l)ußhandlung klar. Aber daß der Botschafter über ihre erzwungene Abreise noch viel wütender war als alle Polizisten, Agenten und Regierungssprecher, die ihn bereits verhört und verdammt hatten, das, so dachte Carlos Perez über den Wolken, hatte er nun wirklich nicht verdient.
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