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Hamburgs Flora und Fauna

■ Proteste haben den Bau eines Musical-Palastes im Schanzenviertel verhindert

Hamburg steht Kopf: in einem alten Arbeiterstadtteil zwangen autonome „Schanzenkrieger“ Banken und Senat, das Bauprojekt des Musical-Palastes „Flora“ aufzugeben. Über der Schokoladenseite des Kiezes, dem Hafenrand, thront derweil pfiffig und selbstbewußt die antiimperialistische Wohnburg der „Hafenstraße“. Und im Kleine-Leute-Stadtteil Ottensen müssen Filmprominenz und andere Gäste von zeitgeistigen Restaurants mit handgreiflich-hungrigem Besuch der jugendlichen „Volxküche“ rechnen. Für die Springer-Medien droht damit Hamburg im „Flächenbrand“ der Anarchie unterzugehen, die Handelskammer sieht schon das „Investitionsklima“ in Gefahr. Für die WiderständlerInnen ist es dagegen ein erfolgreicher Kampf gegen die „Schicki -Mickisierung“. Das SPD-FDP-Rathaus ist ratlos. Und wiederum andere feiern die Welle erfolgreichen Protestes als späten Sieg behutsamer Sanierungspolitik. Die Stadt lebt - ergo, sie ist attraktiv.

Tatort „Flora“. Im Schanzenviertel, wo der Musical -Vermarkter Friedrich Kurz im Auftrag von Banken (Federführung: die Deutsche Bank) und privaten Geldgebern einen 2.000-Zuschauer-Palast für einen achtjährigen Dauerlauf des Musicals „Phantom of the Opera“ hinter der Fassade des alten Varietes „Flora“ errichten wollte, wird gefeiert, seit am Montag die Aufgabe des Projekts bekannt wurde. Eine Baustelle unter Polizeischutz, Premierengäste bedroht von Buttersäure - das empfindliche Verkaufsprodukt „Musical“ hätte hier nur rote Zahlen fahren können. Und so pfiff die Deutsche Bank Senat und Unternehmer Kurz zurück.

Eine kleine Gruppe von Szenemenschen hatte den Protest angeschoben, der Bauzaun fiel auf die Straße und die drohende Vertreibung einiger Geschäftsleute durch Musical -Parkplätze schweißte das Viertel zu einhelligem Widerstand zusammen: Autonome, Normalos, freie und Kleingewerbetreibende. Befreite Wohnburg „Hafenstraße“.

Während immer mal wieder neue Gerüchte über städtische Räumungszenarien hochkochen und Politiker aller Couleur sich an dem Thema verbalradikal abarbeiten (neulich fuhr der Bonner CSU-Staatssekretär Spranger in einer gepanzerten Limousine den Hafenrand entlang und erklärte, in Bayern würde man die Häuser längst weggeputzt haben), hat sich ein labiles Gleichgewicht zwischen Rathaus und Hafenstraße eingependelt. Neubürgermeister Henning Voscherau markiert nach außen Resolutheit und läßt gleichzeitig seine Mitarbeiter direkt mit dem Hafenstraßenverein die kritischen Punkte klären, beispielsweise den bislang kostenfreien Strombezug von der „Atommafia“.

Während die kämpfende Szene beim „Flora“ und der „Hafenstraße“ noch das linke bürgerliche Spektrum (Spottname: Rechtsstaat-Schickis) auf ihrer Seite hat, könnten die Anschläge auf die Restaurants „Eisenstein“ (Pizza schon ab 9 Mark 30, aber top-postmodern) und „Leopold“ (opulentes Menü für 48 Mark) die Stimmung zum Kippen bringen (siehe Kasten). Auch viele Altlinke sind mittlerweile Freunde des gehobenen Konsums geworden, möchten sich vom „gesunden Volksempfinden“ nicht schwarze Lederjacken und „aasfreie Volxküchenkost“ (Nudelsalat) statt Leinenanzug und Entenbrust aufzwingen lassen. Für die Springermedien ist der Fall klar: Widerstand und Yuppie -Pogrome in Ottensen haben ihren Ausgangspunkt in der Hafenstraße. Vagabundierende Chaoten stecken einen Stadtteil nach dem anderen in Brand und ziehen sich anschließend in ihre Festung zurück. Eine These, die dank Verlautbarungsunterstützung durch das Rathaus inzwischen weithin geglaubt wird.

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Der Marsch in die Zwei-Drittel-Gesellschaft, jahrelanger katastrophaler Arbeitsstellenmangel und eine Jugendarbeitslosigkeit auf bundesdeutschem Rekord (bis vor kurzem bis zu 30 Prozent) haben die Szene in den City-nahen ärmeren Altbauvierteln radikal verjüngt und sie auch verbreitert. Während Neofaschisten in den Stadtrandslums Anhänger sammeln, gehören die innerstädtischen Armeleute-Viertel den Punks und dem jungen linken Widerstand, durchsetzt mit gealterten traditionellen Spontis.

Pikanterweise ist dieser Widerstand am lebendigsten in den Stadtteilen, die Vorzeigebeispiele einer seit den siebziger Jahren gewandelten sozialdemokratischen Sanierungspolitik sind. Hatten früher Szenarien von Hochhäusern, Stadtautobahnen und gigantischen Konsumzentren die Stadtplanerphantasien berauscht, so markierte der Amtsantritt von Bürgermeister Hans-Ulrich Klose 1974 die Trendwende. Nachlassendes Investoreninteresse, Ebbe in der Stadtkasse und wachsender lokaler Widerstand gegen „Kaputtsanierung“ führten zu einem Konzept der behutsamen Sanierung der City-nahen Traditionsstadtteile. Re -Urbanisierung, Stopp der Stadtflucht lauteten die Stichworte. Von den 68ern gerettet, von den Sozis saniert und schließlich von den Yuppies erbeutet? Schlimmer noch: die Grenzen zwischen Altlinken und Yuppies verschwinden. Alte Kämpfer, die sich ihr grasdachbegrüntes Hinterhofidyll weiß gekalkt haben und im „Eisenstein“ den Kir reinpfeifen, stehen mittlerweile zwischen den Fronten.

Die Bonner und Hamburger Miet- und Wohnungspolitik hatten (zusammen mit der neuen Attraktivität der Stadtteile) die Mieten in die Höhe getrieben, der Lebensraum für Einkommensschwache wird immer weniger. Zum Knall kommt es dann, wenn die Stadt, die ihre Klose-Sanierungspolitik inzwischen aufgegeben hat und sich in der Koalition mit den FDP-Wirtschaftsliberalen entstaatlichen und an den Meistbietenden verhökern will, mit überdimensionierten Großprojekten wie dem „Flora“ in die Stadtteile eingreift.

In Ottensen, wo die Szene nach dem Erfolg ihrer Kollegen in St. Pauli (Hafenstraße) und im Schanzenviertel (Flora) zum Kampf gegen die vermeintlichen Yuppies zieht, könnte der Bogen von seiten der Widerständler allerdings überspannt werden: „Wenn das links-bürgerlich-liberale Spektrum sich durch Schicki-Anmache persönlich bedroht fühlt, kann die Stimmung gegenüber Hafenstraße und Flora-Kriegern schnell umkippen“, meint ein Insider. Aber auch: „Wenn die Stadt nicht bald eine neue Sanierungsoffensive zugunsten der Marginalisierten eröffnet, droht ein wirklicher Flächenbrand.“

Florian Marten

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