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Hermlin fordert mehr Offenheit

■ Im FDJ-Zentralorgan 'Junge Welt‘ plädierte der DDR-Schriftsteller für offenen Umgang mit NS-Vergangenheit / Versäumnisse bei der Vergangenheitsbewältigung der DDR

Berlin (taz/dpa) - Nach zahlreichen Prozessen gegen rechtsextreme Skins in der DDR hat der Ost-Berliner Schriftsteller und Vizepräsident des internationalen PEN -Clubs Stephan Hermlin für mehr Offenheit im Umgang mit der NS-Vergangenheit, vor allem gegenüber Jugendlichen plädiert. Auf unbequeme Fragen, so Hermlin, müßten Jugendliche ehrliche Antworten erhalten. Es gebe auch in der DDR Versäumnisse bei der Vergangenheitsbewältigung, die jedoch nicht der offiziellen Staatspolitik, sondern der Selbstzufriedenheit vieler Menschen anzulasten seien. Verbunden mit dem Stolz auf Geschaftes sei eine zu geringe Beachtung des noch Unerledigten, erklärte Hermlin weiter. Das Interview erschien in dem Organ der Freien Deutschen Jugend (FDJ) 'Junge Welt‘.

Nachdem erstmals in Westmedien über das Phänomen von rechtsradikalen Skins in der DDR berichtet wurde, hatte gerade die 'Junge Welt‘ versucht, in Hardliner-Kommentaren das gesellschaftliche Tabu des Neonazismus nach altbekanntem Ideologiemuster abzubügeln und allein den Westen verantwortlich zu machen. Im Zusammenhang mit einer „Kontraste„-Sendung in der ARD über DDR-Skins hieß es, das seien „gutbezahlte Kleindarsteller der BRD-Medien“.

Hermlin, der bereits früher vor der Selbstzufriedenheit des Staates gewarnt hatte und damit auf den zur Staatsdoktrin erhobenen Antifaschismus anspielte, wandte sich insbesondere gegen den Begriff „Rowdy“ im Zusammenhang mit Skins. Der Begriff, so Hermlin, treffe etwa auf pöbelnde Betrunkene zu, nicht aber auf Personen, die Parolen wie „Es lebe Barbie“ riefen oder minutenlang die Buchstaben NSDAP skandierten. Bei einem Gespräch mit Honecker habe der DDR-Staats- und Parteichef erwidert: „Ich bin ganz deiner Ansicht“. Die meisten Jugendlichen empfänden sich als „Nachkommen von Kämpfern“. Doch hätten ihre Eltern und Großeltern versagt. „Die Wahrheit sieht so aus, daß in Deutschland vielleicht ein Prozent der Bevölkerung mit Widerstand zu tun hatte“. In Kirchenkreisen wird dagegen zunehmend der antifaschistische Unterricht als mögliche innergesellschaftliche Ursache thematisiert. Nach Ansicht des Ost-Berliner Stadtjugendpfarrers Hülsemann sei es nicht gelungen, „tatsächliches Mitgefühl für die Opfer zu wecken“.

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