: Blinde-betr.: "Genie und Fernsehen Philosophie heute", taz vom 13.9.88
Betr.: „Genie und Fernsehen Philosophie heute,
taz vom 13.9., S.14
Man kann bestimmt die Machart des Films kritisieren. Eine als schlecht empfundene Ästhetik der Sendung aber zu benutzen, um seine Vorurteile gegen die Philosophie herauszukotzen, ohne irgendein Argument gegen die Aussagen von Hösle vorzubringen, ist der Hohn einer Ignorantin, die ihr Banausentum ausspreizt. Daß jemand als Kind begabt ist, wird ihm als negativ angekreidet; daß jemand mit 21Jahren schon seinen Doktortitel hat, ist ein Verstoß gegen die Mittelmäßigkeit derjenigen, die ein Studium nur als Mampfen von Staatsknete begreifen können; daß er in der Schule die Orestie inszenierte, wird von B. Kirchenmaier benutzt, ihren Ekel über die angeblich „hohe“ Kultur („Darunter war wohl nichts zu machen.“) auszuspucken. Gefordert wird „Verständlichkeit“, jedoch nicht der Sache, sondern das Einverständnis verwaschener, aber bekannter Signale, die Bestätigung der Meinung, leere Kommunikation, in die jeder seine Vorurteile hineinlegen kann. Ein ubiquitäres (und nun eine Folge aus der Serie „Leserservice“: Übersetzung von ubiquitär laut Fremdwörterbuch: überall verbreitet) Geraune der Gefühlsdenker macht sich wieder einmal in diesem Artikel breit, die als Blinde das Licht kritisieren. Wer heute noch von Wahrheit spricht, setzt sich der faschistoiden Kritik der Volksgemeinschaft aus. Alles, was nicht dem herrschenden linken Geist sich anpaßt oder ins Feindbild sich einfügt, soll wie die „auszurottende Philosophiestudentengeneration“ als nutzlos verschwinden. Das ist das Niveau des SA-Mannes, der bei dem Wort Kultur den Revolver zieht. Andererseits kann sich der bürgerliche Philosoph wieder als Verfechter der Vernunft ausgeben, nachdem die Alternativen ihren Geist vor dem Müslitisch abgelegt haben. Hatte mit Marx kritische Gesellschaftsanalyse erstmals das geistige Niveau seiner Zeit erreicht, so ist sie heute wieder im platten Skeptizismus versumpft, da wo die Herrschenden ihre Spontis haben wollen. An dem, was dem linken Zeitgeist heute genügt, ist die Größe seines Verlustes zu erkennen.
B. Gaßmann, Herausgeber der Zeitschrift für materialistische Ethik 'Erinnyen‘
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