: Den öden Alltag beim Namen nennen
■ Endlich subjektiv sein dürfen, endlich über Gefühle schreiben - daran begeisterten sich die „Frauenschreibegruppen“ der siebziger Jahre. Doch das Produzierte: War es Kunst, Handwerk, Therapie?
Maria Neef-Uthoff
Es gab eine Zeit in der Frauenbewegung, wo fast alle Frauen mit Sprache und Schreiben beschäftigt waren. Das hatte mit dem Lesen zu tun. Wir begeisterten uns an Verena Stefans Häutungen, einer Art Autobiographie, in der sie leidvolle Erfahrungen mit linken Männern schildert. Und wenn ich mich auch heute nur noch an Brüste wie Kürbisse erinnere, so weiß ich doch, daß ich hingerissen war und ebenso wie alle anderen Frauen auf die Entwicklung der weiblichen Sprache hoffte, die hier einen entscheidenden Anfang gemacht hatte. „Ich glaube, daß die Durststrecke der weiblichen Ichlosigkeit hinter uns liegt“, schrieb die Schriftstellerin Christa Reinig 1976 in einer Rezension, über Verena Stefan. „Dieser Autorin ist es gelungen, die Sprache der Männer aufzubrechen und ihre Vokabeln den Frauen nutzbar zu machen. Verena Stefan ackert so grundsätzlich auf Neuland, daß sie ihrem Buch ein kurzes Vorwort mitgibt. Darin findet sich eine Analogie, die in vielen Frauengesprächen wiederkehrt, nänmlich die Gedankenverbindung von Frau kaputtmachen und Natur kaputtmachen.“
Das erste Treffen schreibender Frauen veranstaltete der Verlag Frauenoffensive 1976 in München. Etwa 120 Frauen waren nach München gekommen. Einige Professionelle, Journalistinnen, Schriftstellerinnen und viele Frauen, die schrieben beim Kinderaufziehen, beim Briefetippen oder beim Studieren. Zwei Tage lang arbeiteten sie über gesellschaftliche Bedingungen schreibender Frauen, feministische Literaturproduktion und -kritik, Frauenkultur und verschiedenes mehr. Johanna Wördemann schrieb in der Augustausgabe der 'alternative‘ über den Kongreß: „Als Spezifikum weiblichen Denkens-Schreibens wurde in München immer wieder die 'radikale Subjektivität‘ genannt, Subjektivität, wie sie in den Selbsterfahrungsberichten gefordert wird. Diese Subjektivität wird in Opposition zum männlichen objektivierenden, von sich absehenden Denken begriffen.“
Es war eine Freude, subjektiv sein zu dürfen. Nach all den Jahren linker Abstinenz. Nie vorher war es um uns selbst gegangen, immer waren es die anderen gewesen, denen geholfen werden mußte und für die etwas verändert werden sollte. Nun hatten wir uns zum Thema gemacht. Das hatte uns die Frauenbewegung gebracht. Jetzt würden wir unsere eigenen Texte schreiben, jetzt würden wir nicht mehr die Erfahrungen fremder Männer nachempfinden müssen. Jetzt war eine neue Zeit angesagt.
Dabei hatte man den Frauen immer vorgeworfen, sie seien zu subjektiv, zu emotional, zu dies, zu das. Jetzt drehten wir den Spieß einfach um.
Wir wußten ganz genau, daß wir wichtig waren. Was wir sahen, war wichtig. Was wir erlebten, war wichtig. So gut wie niemand hatte die normalen Erlebnisse normaler Frauen aufgeschrieben. Wir holten das nach. Wir wußten von unserer Beschäftigung mit dem „Frauenspezifischen“, daß Frauen anders in die Welt gucken als Männer. Also müßten sie auch anders schreiben. Wir experimentierten, probierten, suchten. Und ziemlich bald bemerkten wir die Leere.
In diese neue Zeit fiel auch die Auseinandersetzung mit den französischen Feministinnen. Die Philosophinnen und Wissenschaftlerinnen Helene Cixous und Luce Irigaray kritisierten im herrschenden Symbolsystem das Fehlen des Femininen. Und weil die gesellschaftskonstituierenden Gesetze des Denkens und Sprechens längst einseitig festgefahren und verkrustet sind, könne „ein weiblicher Text immer nur subversiv sein; indem er sich schreibt, hebt er vulkanartig die alte immobile Kruste empor. Die Frau muß sich schreiben, denn das Erfinden eines neuen aufständigen Schreibens läßt sie im Augenblick ihrer Befreiung die notwendigen Brüche und Veränderungen ihrer Geschichte vollziehen.“ (Helene Cixous)
Von den ersten Stunden der Frauenschreibbewegung an grübelten wir darüber nach, was eigentlich ein „weiblicher“ Text ist. Die Texte, die uns vorlagen, waren zwar von Frauen geschrieben, sie enthielten auch die ganze Palette der weiblichen Erfahrungen; meistens waren es Leidensgeschichten, es fehlte die Kraft der Sprache, es machte keinen Spaß zuzuhören oder zu lesen. Manchmal war man eher erschrocken über die unglückseligen Stimmen und Geschichten. Und vieles fanden wir schlecht, ohne es zuzugeben. Amateurinnen waren am Werk, begleitet von einigen wenigen Schriftstellerinnen, die ihren Namen verdienten.
Virginia Woolf, auch eine in dieser Zeit Wiederentdeckte, konnte nicht helfen. Schreiben Frauen automatisch weibliche Texte, oder ist dieses ganze Bestehen auf dem Weiblichen nur Blödsinn? Virginia Woolf selbst beschreibt in ihrem Essay Ein Zimmer für sich allein die Unmöglichkeit für eine Frau, von männlichen Schriftstellern zu lernen.
Auf den ersten Schreibekongreß folgte ein zweiter in Köln, zwei Jahre später ein dritter in Bremen. Ein neuer Verlag und eine Zeitschrift mit dem Namen 'Schreiben‘ waren gegründet worden. In 'Schreiben‘ veröffentlichte auch ich meine ersten subjektiven Gedichte.
Gerade an den Gedichten war zu erkennen, wie sehr die „Subjektivität“ mißverstanden wurde. Frauen schrieben Gedichte, und die Gedichte handelten von ihren kleinen alltäglichen Erlebnissen und von ihren Gefühlen und vom Frausein in der heutigen Zeit. Keine Überarbeitung, keine Abstraktion, keine unverbrauchten Bilder, keine neuen Gedanken, keine Zusammenhänge, keine Gefühle, die aufhorchen ließen.
Während ich das aufschreibe, gerade in diesem Moment, sehne ich mich trotzdem danach, wieder so naiv und unprofessionell wie damals ein Gedichtchen zu schreiben. Damals gestatteten wir uns eben unsere Klischees. Aber die Zeiten haben sich geändert, und in der Rückschau ist man streng und hochmütig, weil man etwas gelernt hat. Aber das Schreiben, so amateurhaft und unprofessionell wie damals, gestattete auch Freiheiten, die ich heute lange nicht mehr habe.
Ich sehe mich noch nach Bremen fahren. Vor gut zehn Jahren. Virginia Woolf und Christa Reinig im Gepäck und natürlich meine Geschichten und Gedichte, die ich für etwas Besseres hielt. Jedenfalls besser als die viele Schreibe in den diversen Frauenpublikationen.
Wir saßen, vielleicht zweihundert Frauen, an der Weser und lasen aus unseren Texten. Ursula Krechel war da, Anna Reinsberg, Luisa Francia, die 'Courage'-Frauen, Jutta Heinrich.
Die Sonne schien warm. Na, und der Himmel! Und die Schreiberinnen sahen ihren Texten manchmal ähnlich.
Frauen erobern sich die Sprache zurück: Auf den Weserwiesen waren wir überzeugt davon.
Mir ging es auch um Ruhm. Ich wollte berühmt werden, und ich wollte etwas können, und ich wollte tun, was mir Freude macht. Und das Schreiben schien mir genau das Richtige zu sein. Bei Frauen fühlte ich mich zu Hause.
Warum wurden so viele Gedichte geschrieben? So viele, daß die Frauen selbst wieder ungeduldig wurden: „Ich lese Gedichte von Frauen aus der Frauenbewegung, die den Frauen in der Frauenbewegung, die sie lesen, nichts sagen als das, was sie schon wissen oder besser: wissen wollen.“ (Ursula Krechel im 'Lyrik Journal‘ der Frauenoffensive vom Juli '78).
Warum die ganzen Gedichte? Ein Grund war, daß man sich in kurzer Form mitteilen konnte, auch wenn keine Zeit war, auch wenn noch tausend andere Dinge zu tun waren; Gedichte zu schreiben hatte etwas mit dem zersplitterten Alltag von Frauen zu tun. Die gewählte Form erleichterte es, Klang und Farbe zu transportieren, Gefühle in Bildern zu zeigen oder anzudeuten.
Sich immer wieder dasselbe zu sagen und gegenseitig zu bestätigen stärkt das Selbstbewußtsein. Dinge, die nie ausgesprochen worden sind, nun überall wieder zu lesen, macht froh und stark. Der Anspruch, Literatur herzustellen, läßt das Herz kreativ hüpfen, man hat was getan am Tag.
Mit der Veröffentlichung von Gedichten nahmen sich die Frauen einen Raum, wo sie ihre Gefühle öffentlich machten. So präsentierten sie sich selbst. Auch wenn es ungeschickt geschrieben war, es sich oft wiederholte, flach und banal war, Alltag und die an ihn gebundenen Gefühle wurden Thema von, ja, was war es denn nun? War es Kunst, war es Handwerk, war es Therapie, war es Frauenkampf, war es Kreativität. Von allem ein bißchen und ziemlich einmalig und wenig bestimmbar.
Je länger ich darüber nachdenke, desto gerührter bin ich den Versuchen von damals gegenüber. Die Gedichte entstanden auch in einer Zeit, die als sehr gedichtfeindlich galt. Zumindest in der Linken.
Auch Gefühle waren bis dahin sehr unpopulär. Man hatte sich Ende der 60er Jahre zwar sehr mit Sexualität beschäftigt, daß Sexualität aber etwas mit Gefühlen zu tun hatte, war irgendwie nicht durchgedrungen. Wie sonst erklärt man sich die fürchterliche gegenseitige Kontrolle der Sexualität in der eigenen Beziehung?
Es wurde nicht gefühlt, sondern die Körperempfindungen wurden beobachtet und registriert. Die „radikale Subjektivität“ mit ihren Selbsterfahrungsgruppen und ihrem Drang, sich niederzuschreiben, ermöglichte ein Comeback der Gefühle.
Frauen gestatteten es sich nun, ihre Gefühle zu zeigen und den doofen Alltag beim Namen zu nennen, ihn ein bißchen zu verzieren. Diese gefühligen Frauen, die sich eigentlich dafür schämen sollten. Sie schreiben von tropfenden Wasserhähnen, von Blumentöpfen und Pflanzen, vom Treppensteigen, vom Kinder-nach-Hause-bringen, von Jochbögen, von dunklen Gespinsten, von Wünschen und Zärtlichkeiten.
Trotzdem blieb das Geschriebene auch nach Jahren noch mager. Es fehlte das Treffende, das Spitze, das nie Gesagte oder neu Gesagte. Es fehlte so viel. Sie nannten im Laufe der Jahre alles beim Namen, aber immer weniger hatten Lust, das zu lesen oder dem zuzuhören.
Alle konnten auf einmal schreiben. Höflich hörte man sich das aus der Schublade Gezogene an. Wo man ging und stand, auf einer Einladung beim Abendessen, spürte man das produktive Glitzern, das schüchterne Räuspern. Und die eilige Lust, sofort auf der Stelle etwas vom Selbstgeschriebenen vorzutragen. Oft hatte man das Gefühl, ein Gedicht sei ein untereinandergeschriebener Satz, dem allerdings wichtige Satzteile fehlten, die durch Infinitive ersetzt worden waren.
In den Frauenschreibegruppen saßen sich die Teilnehmerinnen hilflos gegenüber. Abendelang diskutierten sie so vorsichtig wie möglich über Texte, für die sie keine Kriterien zu haben wagten.
Jede Frau wurde wichtig und ernst genommen, zumindest bemühten sich alle darum. Unter Blinden ist die Einäugige Königin. Halbwegs gute Schreiberinnen wurden schnell großartig, verglichen mit anderen. Sie gaben dann auch schnell den Ton an. Wie überall in Gruppen gab es auch in den Frauenschreibegruppen keine, die mal sagte, was Sache ist. „Hör auf Mädchen, es ist Schund, was du produzierst“, hätte das verklemmte Rätseln um die Bedeutung einiger Texte zumindest verkürzt. Manch unverständliches Gestammel wurde schlicht zum Kafkaesken emporgehoben und damit vor jeder weiteren Kritik verschont.
Die Sprache war in den späteren Jahren der Frauenschreibebewegung kein Thema mehr.
Frauenliteratur, wenn sie als solche gepriesen und verkauft wurde, blieb leider meistens zweitrangig. Die schlechte Qualität bewirkte schließlich, daß überhaupt niemand mehr von ihr sprach. Anfang der achtziger Jahre war dann auch Schluß mit den Bewegungen und Schluß mit den Gruppen. Hier und da haben sich welche erhalten, sie geben nach wie vor kleine Zeitschriften heraus, aber den Anspruch, Sprache zu finden oder zu verändern, findet man dort nicht mehr.
Bleibt das Geschäft mit der Literatur, bleiben einige wenige bekannte Namen und die Erfahrungen, die noch zu machen sind. Christa Reinig schrieb 1976: „Weibliches Denken leitet sich aus der Erfahrung der Körperlichkeit ab. Keine Frau, die hier nicht einmal eine empfindliche Kränkung erfahren hat, keine, die nicht vor dem Fakt zusammenbrach, daß sie den Beleidiger nicht strafen konnte. Die Haut der Verträglichkeit bei Frauen ist dünn.“
Rückblickend ist manches erreicht worden. Weibliches Denken, weibliche Erfahrungen sind Themen der Frauenforschung. Auf dem Gebiet der Kunst sind sie aber noch immer ein ziemlicher Mangel.
Dieser Text, hier leicht gekürzt, erscheint in den nächsten Tagen in dem Band der Frauenoffensive „Mein Kopf gehört mir“, Zwanzig Jahre Frauenbewegung, herausgegeben von Hilke Schlaeger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen