Demutsgesten gegenüber der US-Army

■ Der Ausbau der US-Basis Wiesbaden-Erbenheim und der in Frankfurt/Main nach Ramstein

„Stammheimer Landrecht bricht Bundesrecht“, hieß es vor ein paar Jahren. Kann man heute sagen: Nato bricht Bundesrecht? Wie souverän ist die Bundesrepublik? Betrachtet man die jüngsten Auseinandersetzungen um den Ausbau des Flughafens Wiesbaden-Erbenheim und die Rhein-Main-Air-Base der US-Army in Frankfurt, so entsteht der Eindruck, daß über die Politik der Bundesrepublik das Pentagon in Washington entscheidet. Jedenfalls unternimmt der Bundesverteidigungsminister alle Anstrengungen, um auch die wohlwollendsten Betrachter, darunter auch einige seiner Parteifreunde, zu dieser Schlußfolgerung zu zwingen.

Rund 50 friedensbewegte Menschen wateten vor einer Woche durch Pfützen und über lehmiges Ackergelände, um mit ihren Kameras fotographieren zu können, was seit Wochen in Hessen Diskussionsthema ist: die Hubschrauber auf der Air-Base Erbenheim, dem „Home of the Wiesbaden-Eagles“. Doch die „Eagles“ in ihren US-amerikanischen Kampfanzügen und den schicken Fliegerjacken hatten ihre zu „Probeflugzwecken“ in Erbenheim stationierten Helikopter in die Hangars verfrachtet, die direkt neben der Autobahn Frankfurt -Wiesbaden die Aussicht auf den zum Machtbereich des Fünften US-Corps zählenden Flughafen verdecken.

So fotographierten die Mitglieder der Gruppe „Kampagne ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung“ bei dieser bisher einzigen Aktion gegen das neue militärische Großprojekt lediglich die Schilder am stacheldrahtbewehrten Zaun um die Air-Base. Auf denen steht: Fotografieren verboten.

Daß nur ein halbes Hundert Menschen ihrem „Spontanaufruf“ zur Demonstration vor dem neuen Standort für insgesamt 157 Kampfhubschrauber und -flugzeuge der US-Army gefolgt waren, entmutigte die Initiatoren der Aktion „Fotographieren für den Frieden“ nicht. Immerhin habe man ein „erstes Zeichen“ gesetzt, dem weitere Aktionen des zivilen Ungehorsams folgen sollen, meinte Kampagnen-Sprecher Wilfried Kerntke. Die Bürgerinitiative gegen die Stationierung, die seit Jahr und Tag im Stillen gegen die „Installation neuer Lärmterrorquellen“ kämpft, müsse sich ohnehin erst an „Aktionen des zivilen Ungehorsams“ (Kerntke) gewöhnen.

Politisches Tauziehen

So klein die Demo, so demonstrativ das politische Zeichen des Wiesbadener Oberbürgermeister Joachim Exner (SPD), der wochenlang vor den Gerichten erfolgreich den Stationierungsanweisungen von Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) trotzte. Insgesamt dreimal wurde Scholz vom Verwaltungsgericht in Wiesbaden aufgefordert, seine Stationierungszusage an die US-Armee zurückzunehmen, denn der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland habe mit seinem Verhalten gegen das Luftverkehrsgesetz der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Exners Klagen gegen die Stationierungsgenehmigung und den von Scholz angeordneten Sofortvollzug waren deshalb erfolgreich, weil Scholz - in Erwartung der Gegenklagen - auf die Durchführung eines ordentlichen Genehmigungsverfahrens für die „Apache„ -Stationierung verzichtet hatte.

Doch eine so einschneidende Maßnahme, wie sie die Stationierung von Militärflugkörpern darstelle, könne nicht ohne Genehmigungsverfahren, gegen das betroffene Gebietskörperschaften dann Widerspruch bei den Verwaltungsgerichten einlegen dürfen, durchgezogen werden so jedenfalls die Argumentation des Verwaltungsgerichts Wiesbaden.

Politisch delikat wurde die Stationierungsangelegenheit allerdings erst, nachdem auch die CDU-geführte hessische Landesregierung die von Scholz angeordnete Stationierung ablehnte. Ministerpräsident Wallmanns Vision von dem Chaos über dem Himmel des Rhein-Main-Gebietes, das nach der Stationierung von 157 zusätzlichen Flugobjekten in unmittelbarer Nähe zum ohnehin schon überlasteten Rhein-Main -Flughafen unweigerlich ausbrechen werde, animierte den Christdemokraten zum Widerstand gegen seinen Parteifreund Scholz.

Scholz kündigte vergangene Woche zwar eine Klage gegen die Entscheidungen des Wiesbadener Verwaltungsgerichts beim hessischen Verwaltungsgerichtshof an, doch die Stationierung wurde zunächst einmal zurückgestellt. Obgleich bereits zwei „Apache„-Hubschrauber in Erbenheim eingetroffen sind und sich die Mannschaft für die gesamte Staffel schon im „Home of the Wiesbaden-Eagles“ aufhält, kündigte ein Army-Sprecher den vorläufigen Verzicht auf die weitere Stationierung an bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes.

Noch vor einer Woche hatte US-Präsident Reagan höchstpersönlich den Bundesverteidigungsminister darauf aufmerksam gemacht, daß die Stationierung bereits mit dem Scholz-Vorgänger Manfred Wörner (CDU) „erörtert und vereinbart“ worden war.

Der Air-Base-Poker

Schaltzentrale für den Einsatz aller in Hessen stationierten US-Einheiten - zu Lande, zu Wasser und in der Luft - ist das Headquarter des Fünften US-Corps in Frankfurt, dem auch die Leitung der US-Air-Base Rhein-Main obliegt. Dieses Fünften US-Corps hat den Träumern aus der hessischen Landesregierung, die ein Teil der Rhein-Main-Air-Base für den zivilen Flugverkehr auf dem Rhein-Main-Flughafen nutzen wollten, schnell klargemacht, daß diese Träume jeder realistischen Grundlage entbehren. Als „Mittelpunkt“ des Machtbereiches des Fünften US-Corps sei der Frankfurter Militärflughafen „unverzichtbar“ für die Air-Force, die dort hauptsächlich Galaxy-Großraumtransportflugzeuge für die schnelle Verlegung von Truppen und Waffen stationiert hat („Schnelle Eingreiftruppe“). Aber auch Bomber stehen in den Hangars der Air-Base für den Einsatz bereit.

Aufgrund des „Airland-Battle-Konzepts“ werden die Amerikaner auch nicht bereit sein, einen Teil ihrer Galaxy -Transporter oder gar die ganze Hubschrauberflotte aus Erbenheim nach Ramstein zu verlagern, wie das gleichfalls einige hessische Politiker spekulativ in die Debatte um die Entlastung des zivilen Rhein-Main-Flughafens „geworfen“ hatten. Ramstein ist schließlich weiter von der Grenze zum Ostblock entfernt als Wiesbaden, Frankfurt oder gar Fulda.

Außerdem ist in Rheinland-Pfalz, dem „Flugzeugträger -Bundesland“ der Republik, nach der Katastrophe von Ramstein heftiger politischer Widerstand gegen weitere Ausbaupläne zu erwarten. Sämtliche im Landtag in Mainz vertreten Parteien haben gegen die „Verlegungsspekulationen“ in Hessen heftigst Stellung bezogen. So äußerte etwa der dortige FDP -Vorsitzende Brüderle „völliges Unverständnis“ gegenüber den „Bestrebungen“, ausgerechnet den Nato-Flughafen Ramstein erweitern zu wollen: „Die Totenfeier in Ramstein und die Gesichter der Angehörigen der Toten vor Augen halte ich es für undenkbar, daß ausgerechnet dort noch weiteres Militär konzentriert werden soll.“ Die FDP fordert im Gegenteil den Umbau mindestens einer Air-Base im Bundesland zum Zivilflughafen. Und genau das sei seit Jahren auch die Forderung der CDU, meinte Innenminister Rudi Geil nur zwei Tage nach der FDP-Erklärung. Die rheinland-pfälzische SPD hat sich schon eine abzuschaffende Air-Base „ausgesucht“. Nach ihrer Auffassung sollte der Militärflugplatz Sembach, der wie Ramstein im Landkreis Kaiserslautern liegt, in einen Zivilflughafen umgewandelt werden.

„The Lords and the

new Creatures“

Doch die Spekulanten aller Lager in der Bundesrepublik haben die Rechnung ohne den US-amerikanischen Wirt gemacht. Die US -Army hat wiederholt erklärt, daß sie an ihrer Hubschrauber -Stationierungsabsicht in Erbenheim festzuhalten gedenkt und daß die Rhein-Main-Air-Base „unverzichtbar“ sei. Ob die Militärs in Rheinland-Pfalz als Zeichen des guten Willens nach Ramstein - eine Basis räumen werden, wird wohl davon abhängen, ob dafür ein anderer Flughafen ausgebaut werden kann oder nicht.

Die Wünsche bundesdeutscher Politiker, die nach dem Ramstein-Inferno zu sensibleren Tönen in der Auseinandersetzung mit StationierungsgegnerInnen gefunden haben, sind für die NATO und für die Verantwortlichen im Pentagon von sekundärer Bedeutung. Die gleichfalls nach Ramstein aufgeflammte Diskussion um die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland könnte zum politischen Dauerbrenner werden, falls sich die Absichten der Militärs nicht länger mit den Zielsetzungen einflußreicher Politiker in den Bundesländern - und eines schönen Tages vielleicht auch im Bund - decken sollten. Doch vor einer solchen politischen Auseinandersetzung mit der Nato und der US-Army schrecken die CDU-Politiker in Mainz und in Wiesbaden noch zurück. So hat in Hessen Ministerpräsident Wallmann bereits über den Bau einer dritten Start- und Landebahn auf dem Rhein-Main-Flughafen laut nachgedacht. Und diese „Runaway“ wird dann wohl auf Kosten des Restwaldes in der Region als Schneise in den Mönchbruchwald geschlagen werden, denn die US-Air-Base, so die „Experten“, reiche für den Bau einer solchen dritten Bahn ohnehin nicht aus. Und auch in Rheinland-Pfalz sind „Demutsgesten“ gegenüber der US-Army wieder angesagt: so wollte der CDU-Fraktionsvorsitzende im Mainzer Landtag, Emil W. Keller, noch nicht einmal wissen, wer für die Katastrophe von Ramstein verantwortlich war. Keller: „Wir brauchen nicht in den Paragraphen des Truppenstatuts zu wühlen. Unter Freunden braucht man nicht ins Gesetzbuch zu sehen. Der Takt des Herzens gebietet das Richtige.“

Klaus-Peter Klingelschmitt