Erneuerung-betr.: Fahrplan für den Grünen Aufbruch, taz vom 12.9.88

Betr.: „Fahrplan für den Grünen Aufbruch,

taz vom 12.9., S. 5

(...) So übersteigt auch diesmal das, was sich der Bericht an verfälschenden Charakterisierungen einerseits und an tendenziösen Auslassungen anderseits leistet, das normale Maß journalistischer Schlamperei. Um nur die dicksten Klöpse aufzuzählen: „Grüner Aufbruch“ ist zunächst nicht „die Gruppe um Lucas Beckmann und Antje Vollmer“, wie es im Bericht wiederholt heißt. Nicht die Personalisierung an sich ist hier das Ärgerliche. Mehr als ärgerlich ist es, daß die taz hier eine verfälschende Personalisierung der „Führungscrews“ der grünen Flügel aufnimmt. Eine - angeblich bekannte und enge - Schublade wird aufgemacht, und suggeriert wird, daß „Aufbruch“ darin Platz hat. Vor einem halben Jahr vielleicht waren die zwei Namen auch noch ein verständliches journalistisches Kürzel, da man die inhaltliche Stoßrichtung von „Aufbruch“ und die Bedeutung, die in ihm das Zusammentreffen mehrerer grüner Positionsentwicklungen erlangt hat, noch kaum kennen konnte. Heute, geraume Zeit nach der Veröffentlichung des ersten „Aufbruch-Manifests“ (übrigens von der 'Rundschau‘ gedruckt und nicht von der taz) und nachdem es für jeden nur halbwegs aufmerksamen Beobachter schon spätestens seit dieser Veröffentlichung sichtbar war, welchen entscheidend mitgestaltenden Einfluß bei den politischen Konzepten und Herangehensweisen von „Aufbruch“ grüne Menschen haben, die aus völlig anderen politischen Ecken kommen als Beckmann und Vollmer, ist die genannte Kennzeichnung der Gruppe eine gezielte Tatsachenvernebelung auf Kosten der taz-Leser. (Ich will nur wenige dieser „prominenten“ Menschen aus anderen grünen Ecken nennen: P. Sellin, Bundesabgeordneter der Berliner AL; A.Göhler, Bürgerschaft Hamburg und Initiatorin der dortigen Frauenliste; R. Füchs und M.-L. Beck-Oberdorf, Bremer Bürgerschaft und Bundestag, vor einiger Zeit noch den „aufgeklärten Fundis“ zugerechnet; B. Bender, grüne Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Landtag.)

Verfälscht wird im Bericht auch der Zusammenhang dargestellt zwischen der „Aufbruch„-Forderung einer grünen Urabstimmung über Weiterentwicklungskonzepte grüner Politik und den im Dezember abzugebenden Voten der Kreisverbände für oder gegen dieselbe. Es ist nicht so, daß „Aufbruch“ es bloß glauben würde - wie es im Bericht steht -, daß es diese Urabstimmung geben wird, wenn sich ein Drittel der Kreisverbände dafür (und damit gegen den „Status quo“ der Partei und das sture „Weiter so“) aussprechen. Diese Urabstimmung wird es - (...) laut Satzung - geben müssen.

Es würde zu weit führen, auf weitere tendenziöse Verdrehungen und Verkürzungen im Wiedemann-Bericht einzugehen, so z.B. auf die unrichtige Darstellung der eher vielfältigen - Realoppositionen zur Urabstimmung sowie der der Einschätzung des „Aufbruchs“ zum grünen Perspektivenkongreß. (Wo auch gezeigt wird, daß es nicht genügt, Unzufriedenheit mit den Führungsequipen der Flügel zu artikulieren, wenn man die unterschwellige und verhängnisvolle ideologische Logik nicht aufbricht, durch die sie ihre hegemonische Position erreichen konnten: Das gilt wohl für die neueren „Flügelunterfraktionen“.)

Nur noch zwei Bemerkungen zum Bericht: 1. Weil die tendenziöse Darstellung des politischen Charakters von „Aufbruch“ nicht beeinträchtigt werden sollte, fand im Bericht auch kein einziges „fact“ des Treffens Erwähnung, das dem Bild widersprochen hätte, das zu verbreiten war. Nur ein paar dieser unterschlagenen Tatsachen: die Beteiligung eines breiten Spektrums von grünen Fraktionsvorständen, Landtagsabgeordneten und Landesvorstandsmitgliedern am Treffen; der zustimmende Beitrag von Helmuth Wiesenthal zum „Aufbruchmanifest“ und seine kritische Unterstützung der Urabstimmungsidee; die Unterstützung Michael Merkels - von den Ökolibertären - in Sachen Urabstimmung - nebst der Festmachung seiner Differenzen zum „Aufbruch“ ; der zustimmende „Außenbeitrag“ von Jürgen Seiffert (Hannover) zur „Aufbruch„-Initiative; und schließlich die Tatsache, daß eine Reihe von grünen Menschen, praktisch aus allen Landesverbänden - zum erstenmal bei einem „Aufbruch„-Treffen damit begonnen haben, für die Weiterentwicklung - auch als ein grünes Signal in die Gesellschaft hinein - Verantwortung zu übernehmen.

2. Die journalistische Dürftigkeit des fraglichen Berichts kann man allerdings nicht allein der Bonner Korrespondentin der taz zuschreiben. Selbstverständlich gibt es leider mehr als genug Gründe, um die Entwicklung der Grünen auch bei der taz mit Skepsis und steigendem Desinteresse zu behandeln. Dennoch: Es sollte doch nachdenklich stimmen, wenn die taz deren Leserschaft schätzungsweise aus gut 60-70 Prozent grünen Wählern und auch aus einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von grünen Parteimitgliedern besteht - ein ungenaueres Bild grüner Vorgänge wiedergibt als etwa die 'Frankfurter Rundschau‘.

Zoltan Szankay, Bremen