: Augenzeuge belastet NS-Polizist
Im Nürnberger Schwurgerichtsprozeß NS-Polizist wegen zweifachen Mordes und einem Mordversuch an polnischen Juden im August 1942 angeklagt / 82jähriger Angeklagter bestreitet sämtliche Vorwürfe ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
Der ehemalige Nazi-Polizist Wilhelm Wagner ist durch die Aussage des Augenzeugen Birnbaum vor dem Nürnberger Schwurgericht schwer belastet worden. Der heute 82jährige muß sich wegen zweifachen Mordes und einem Mordversuch, begangen an polnischen Juden im August 1942, verantworten. 26 andere Mordfälle sind von der Staatsanwaltschaft bereits vorläufig eingestellt worden.
Der 66jährige jüdische Kaufmann Birnbaum, dessen Eltern in Wieliczka die Gerberei besaßen, konnte sich noch sehr gut an den Tag erinnern, an dem die Stadt mit 17.000 Einwohnern in der Nähe von Krakau „judenrein“ gemacht wurde. Nachdem seine Eltern abtransportiert worden waren - sie kamen ins Ghetto nach Krakau, danach sah er sie nie wieder - wurde er zusammen mit anderen jungen Juden gezwungen, die Habseligkeiten der Deportierten aus deren Häusern zusammenzusammeln und im Gebäude der jüdischen Gemeinde einzulagern. Parallel dazu lief eine Razzia der SS und der Gendarmerie, darunter auch Wagner, die in den Häusern nach kranken und sich versteckt haltenden Juden suchten. Sie sollten sofort an Ort und Stelle erschossen werden.
Etwa 150 Meter vom Haus des bettlägrigen Uhrmacher Sobel entfernt, hörte Birnbaum an dem fraglichen Tag einen Schuß. Kurz danach sah er, wie der Körper eines Mannes die Treppen hinunter auf die Straße geworfen wurde. „Kurz darauf kam Wagner allein aus dem Haus.“ Von anderen Juden hatte Birnbaum erfahren, daß Wagner „der gefährlichste Mann“ der deutschen Gendarmerie wäre. An Details aus früheren Aussagen konnte sich Birnbaum nicht mehr erinnern.
Ex-Polizist Wagner hörte sich die Schilderung des Zeugen völlig unbewegt an und beteuerte, er wisse von überhaupt nichts. Er konnte sich nicht einmal an die Gerberei mit ihren etwa 100 Mitarbeitern erinnern. Er gab an, die ganze Zeit während der Deportationen bei der Polizeistation etwas außerhalb von Wieliczka postiert gewesen zu sein.
Am Abend des betreffenden Tages hätte ihm sein Polizeikollege Krewer von dem Vorfall bei dem Uhrmacher erzählt. Demnach sollte ein „volksdeutscher“ Hilfspolizist, ein „Judenhasser“, den Uhrmacher erschossen haben. Angesichts dieser völlig neuen Version platzte Richter Manger der Kragen. Er hielt dem Angeklagten vor, jahrzehntelang geschwiegen zu haben und diese „naheliegendste Version zu seiner Entlastung“ vorher nie erzählt zu haben.
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