Vor IWF-Jahrestagung: Ein Insider packt aus

Hochrangiger Ökonom wirft in seinem Rücktritts-Schreiben Weltbank und Währungsfonds betrügerische Statistikfälschungen vor / taz dokumentiert  ■  Von Kurt Zausel & Ulli Kulke

Berlin (taz) -Der grenadische Ökonom Davison Lawrence Budhoo hat schwere Vorwürfe gegen den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank erhoben. In einem rund 150seitigen, sechsteiligen Rücktrittsschreiben an den IWF-Direktor Michel Camdessus begründet Budhoo seinen Ausstieg mit starken Worten und harten Fakten. Unter anderem wirft er dem IWF betrügerische Manipulation von Statistiken vor.

Budhoo war insgesamt 17 Jahre für die Weltbank und den IWF tätig. Er war unter anderem Vertreter des IWF in Guyana und hatte leitende Funktionen bei der Weltbank-Tochter International Finance Corporation und der Development Association. Im Schreiben an seinen ehemaligen Chef heißt es: „Mr. Camdessus, es ist so viel Blut geflossen, daß es Flüsse füllt. Es trocknet später und klebt an mir; manchmal habe ich das Gefühl, es gibt auf der ganzen Welt nicht genug Seife, um mich von all den Dingen reinzuwaschen, die ich in Ihrem und im Namen Ihrer Vorgänger unternehme.“ Budhoo kann belegen, auf welche Weise der Währungsfonds Daten manipuliert, um seine rigiden wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Maßnahmen zu begründen, und Regierungen zum Einschwenken auf den IWF-Kurs zwingt. Im Falle Trinidad und Tobagos, den Budhoo näher beleuchtet, wurden im Rahmen solcher Maßnahmen die Währung abgewertet, Löhne gekürzt und Leistungen im sozialen Bereich gestrichen.

Der Druck auf Trinidad und Tobago war um so größer, als die von IWF und Weltbank regelmäßig veröffentlichten ökonomischen Indikatoren der Schuldnerländer von den privaten Gläubigerbanken zur Grundlage ihrer Kreditvergabebeschlüsse herangezogen wurden. Weisen die Daten schlechte Werte auf, geht die Kreditwürdigkeit der betroffenen Länder zurück. Die Abschnürung vom internationalen privaten Geld- und Kreditkreislauf macht sie dann zu einer leichten Beute von IWF und Weltbank, die Abhängigkeit ist perfekt.

In einem anderen Fall belegt der Autor, daß bei statistischen Jahresvergleichen gezielt solche Jahre zur Ausgangsbasis herangezogen werden, die die Entwicklung besonders katastrophal erscheinen lassen.

Budhoo wirft beiden Institutionen vor, sie gebärdeten sich als moderne kolonialistische Mächte. Die Behauptung von IWF und Weltbank, sie würden ihren wirtschaftspolitischen Sachverstand und ihre finanziellen Ressourcen nur auf nachdrücklichen Wunsch der jeweiligen Regierung zur Verfügung stellen, wird durch Budhoos Aussagen stark entkräftet. Nach Ansicht des Ökonoms erzielen sie mit anderen Mitteln die gleichen Ergebnisse wie die Kolonialisten im klassischen Sinne: „Im Unterschied zu den früheren kolonialen Mächten können wir unsere Interventionen so fein steuern, daß wir heute nur die Rechte und Verfassungsgarantien aufheben müssen, die unseren unmittelbaren Zielen im Wege stehen. Mit anderen Worten, wir unterminieren die verfassungsmäßigen Rechte schleichend und auf eine nicht sichtbare Weise.“

Budhoo beschreibt IWF und Weltbank als gewissen- und seelenlose moderne Monster, die Fortsetzung Seite 2

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dem Credo folgen: „Wertet ab! Besteuert die Armen! Beseitigt alle Transfer- und Subventionsleistungen an die Armen! Streicht die Sozial- und Gesundheitseinrichtungen! Laßt die Kinder verhungern! Erhöht die Preise für Brot, Kartoffeln und Wasser! Dreht die Uhr 200 Jahre zurück und laßt uns wieder die Herren und euch die Sklaven sein.“

Die taz beginnt heute auf den Sonderseiten zu IWF und Weltbank, den Brief Budhoos auszugsweise zu dokumentieren. Der „Aussteiger“ wird auf der Berliner Konferenz der internationalen Umweltorganisationen vom 22. bis 24.9. und auf dem Basso-Tribunal vom 26. bis 29.9. sprechen.