: Dicke Luft
■ Umweltlabor B.A.U.C.H. führt Raumluftanalysen durch
Die schwangere Sieglinde S. aus Neukölln plant ihren Umzug. In der neuen Wohnung sind vor ein paar Jahren Preßspanplatten als Fußboden verlegt worden. Da Preßspan Formaldehyd ausdünstet, beauftragt sie vorsichtshalber ein unabhängiges Umweltlabor mit einer Raumluftanalyse. Nach einer Woche ist das Meßergebnis da: Weniger als die Hälfte des zulässigen Grenzwerts. Sie kann aufatmen: Die kostspielige Fußbodensanierung fällt flach.
Die meisten der rund 20 BerlinerInnen, die sich pro Monat an das Umweltlabor B.A.U.C.H. e.V. in der Wilsnacker Straße in Moabit wenden, sind weniger vorausdenkend. Sie haben häufig eine Odyssee durch Arztpraxen und Gesundheitsberatungsstellen hinter sich und klagen über akute Beschwerden: Hautallergien, gereizte Augen, Atemwegserkrankungen, Kopfschmerzen, im Extremfall sogar Leberschäden. In den allermeisten Fällen haben die Hilfesuchenden allen Grund zu der Vermutung, daß etwas Krankmachendes in der (Wohnungs-)Luft liegt.
Um herauszufinden, wo das Giftdunstübel sitzt, müssen die vier hauptamtlichen Mitarbeiter von B.A.U.C.H. (Beratung und Analyse für Umwelt-CHemie) oft kriminalistische Arbeit leisten: Sind es die behandelten Dachbalken? Die furnierte Schrankwand? Die gewachsten Fußböden? Der frischgereinigte Teppich? Wann genau sind die Beschwerden aufgetreten und was wurde in dieser Zeit in der Wohnung verändert? Um konkrete Verdachtsmomente gegen einzelne Bauelemente oder Möbelstücke zu erhärten, werden bei Bedarf auch Materialproben an die Bundesanstalt für Materialprüfung weitergeleitet, die neben den bezirklichen Gesundheitsämtern und dem Bundesgesundheitsamt ebenfalls Raumluftanalaysen durchführt.
Bei diesen Analysen wird nicht nur nach dem Formaldehydgehalt der Luft gefahndet, sondern auch nach Holzschutzmittelrückständen und Lösungsmitteln, die in fast allen herkömmlichen Lacken und Klebstoffen verwendet werden. Was besonders BerlinerInnen mit Ofenheizungswohnungen wissen sollten: Formaldehyd entsteht auch beim offenen Verbrennen von Haushaltsgas.
Bei dem Formaldehyd-Test wird mittels einer im Raum aufgestellten Pumpe Luft durch ein Wasserröhrchen geleitet, später im Labor das 'eingesammelte‘ Formaldehyd mit einer Farbreaktion sichtbar gemacht und anhand der Farbintensität der Schadstoffwert berechnet. Bei anderen Tests wird statt Wasser Aktivkohle als Auffanglager verwendet. Zum Bedauern vieler Laien gilt allerdings bei der chemischen Analyse der Grundsatz: Mensch muß vorher wissen, was er sucht, um es hinterher erkennen zu können. So bleiben viele Schadstoffe unerkannt bzw. müssen einzeln herausgefiltert werden. Ganz billig ist das nicht: Die Preise liegen pro Test zwischen 130 und 200 DM.
Überwiegend aus dem gutverdienenden Mittelstand komme die private Kundschaft, schätzt Peter Plininger von B.A.U.C.H. Aber auch Zusammenschlüsse von LehrerInnen und Eltern wenden sich zwecks Überprüfung der Schulräume an den Verein, da die Bezirksämter häufig mit unzureichenden Meßmethoden arbeiten. Bei einem Großauftrag für den Sanierungsträger S.T.E.R.N. stießen die Raumluft-Experten auf ein zusätzliches Problem: Durch perfekte Isolierung von Neubauten bilden sich an den Wänden giftige Schimmelsporen, da die Feuchtigkeit nicht mehr entweichen kann.
Tröstlich sei immerhin, so Peter Plininger, daß das Problem der Innenluftverschmutzung allmählich ernstgenommen werde. Das Forschungsministerium vergibt einschlägige Forschungsaufträge, in den Bezirksämtern kursieren Dienstschreiben zum Thema, und - man staune - Ikea nimmt Möbel zurück, die nachweislich die Luft verpesten.
Ulf Mailänder
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