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Eine Fahrt ins Grüne

Als die 35jährige Lehrerin Ilona M. am Sonntagnachmittag, dem 11. September 1988, in ihr Auto stieg, um zu einer Verabredung zu fahren, da ahnte sie nicht, daß sie ihre Bekannten würde sitzenlassen müssen. Eine unvorhergesehene Begegnung mit der Staatsgewalt versalzte der unbescholtenen Lehrerin den Sonntagsnachmittags-Kaffee.

Gegen 14.50 Uhr fuhr sie vom Mehringdamm her kommend über den Columbiadamm in Richtung Neukölln. Als sie plötzlich den Polizisten mit der roten Kelle sah, blickte sie instinktiv auf den Tacho. Nein zu schnell gefahren war sie nicht. Beim rechts ranfahren bemerkte sie, daß dies hier keine gewöhnliche Verkehrskontrolle sein konnte: Gefangenentransporter, Polizisten mit Maschinenpistolen und eine ganze Reihe wartender BürgerInnen außerhalb ihrer Autos mit Papieren in der Hand. Letztere hatte sie nicht dabei. „Oh, dann kann das etwas länger dauern. Hier findet eine Kontrolle nach Paragraph 111 statt, wir suchen Terroristen,“ erklärte der Polizist der erstaunten Lehrerin. Sie und ihr Begleiter wurden aufgefordert, „das Fahrzeug zu verlassen, weil es durchsucht werden“ müsse. Wo sie denn ihre Papiere habe, wollte der Polizist wissen. „Zu Hause.“ Ob sie bereit sei, in Polizeibegleitung zu ihrer Wohnung zu fahren und die Papiere dort überprüfen zu lassen, wollte der Vertreter der Staatsgewalt wissen.

Zwanzig Minuten waren inzwischen vergangen. „Was soll ich machen, fahren Sie mich nach Hause und ich werde Ihnen die Papiere zeigen“, entschied sich Frau M. in der Hoffnung, ihre Verabredung doch noch einhalten zu können. Ihr Begleiter, der seinen Paß dabei hatte, durfte gehen.

Zwei Polizisten in Uniform und zwei in Zivil setzten sich mit der Lehrerin in eine Wanne und los gings quer durch Kreuzberg. „Lassen Sie bitte die Türe auf,“ fordert der Beamte, als Frau M. den drei begleitenden Polizisten den Zutritt zu ihrer Wohnung verwehrte. „Im Flur ist es so dunkel, wir können Ihre Papiere nicht lesen, können wir nicht doch reinkommen“, begehrten die Polizisten. Das aber verbat sich die Lehrerin.

Zurück am „Tatort“ auf dem Columbiadamm fand sie ihr Auto durchsucht und abgeschlossen wieder. Nach einer weiteren Viertelstunde erhielt sie Autoschlüssel und Papiere zurück: „Es ist alles in Ordnung, Sie können weiterfahren.“ Mittlerweile waren exakt zwei Stunden vergangen. Aus dem Sonntagsnachmittags-Kaffe waren Nachhilfestunden für die Lehrerin in Sachen „Die Polizei - dein Freund und Helfer“ geworden.

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* Name der Red. bekannt.

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