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Hör-Funken: Chico-Chips / High-Tech-Stürmerinnen / Nachrflug / Kybernetik & Konfusion

Chico-Chips. („Goodbye Baby: Chico Hamilton“, NDR 3, 1205 1300) Eine klägliche Episode des Jazz klingt mit den Versuchen des Schlagzeugers Chico Hamilton nach, einen Fuß in die Tür zur E-Musik zu bekommen: Leih-Cellisten strichen eifrig ihr Instrument, und der Versuch endete mit verstauchten Zehen und flachgelegten Ohren. Das war in den Fünfzigern, als der kalifornische Traum von Sonnenöl, Beach Boys und Leben-ist-Baden-Philosophie den Jazz erfaßte. „Während in New York die Bebopper nach Art der Mongolen den Swing überrannten und schrill in den Straßenschluchten widerhallten, schienen sich einige Musiker des Westens der USA im Sand der Pazifikküste zu rekeln. Ihre Musik klang entsprechend: Urlaubs-Jazz.“ Eine Portion Urlaub von der Konserve verteilt Michael Naura.

High-Tech-StürmerInnen. („Eddi“, RIAS 1, 2030 - 2200) Eine Allianz, wie sie der IWF-Kongreß verdienen würde, hat sich in Michael Gaidas Hörspiel zum Aufstand gegen die Mikro -Elektronik zusammengeschlossen. Ältere Männer aus dem Obdachlosenasyl, jüngere Frauen, die sich beim Zertrümmern der Mikro-Eletronik-Welt als Expertinnen erweisen, auch Sattelschlepper & LKWs sind aufgerufen. Titelheld Eddi singt Revolutionsgesänge, während schon bald in den Vorhallen des Zentralrechners die Frauen die Funken fliegen lassen. Die Männer müssen sich anstrengen, wenigstens dem Zentralrechner eigenhändig den Garaus zu machen - der Geschlechterkampf hört auch in der Trümmer-Phantasie nicht auf. Erst nachdem alles getan ist, gehen Helden und Heldinnen glücklich, aber müde und zu Fuß nach Hause. Die Revolution hat vergessen, noch die letzte Straßenbahn zu erreichen.

Nachtflug. („Der Chinese von Schöneberg“, Radio 100 Berlin, 2200 - 2300) Ob der Chinese von Schöneberg, den der türkische Schriftsteller Kemal Kurt in einer der beiden Erzählungen, die heute zu hören sind, auf der Straße beobachtete, wirklich ein Chinese ist, ist genauso unsicher wie Kurts Phantasieversionen darüber, wohin der Wanderer über die Straßen eines Tages urplötzlich verschwand. Sicher ist nur, daß Chinesen höfliche und schweigsame Menschen sind, was auch auf den Als-ob-Chinesen zutrifft, nur daß er den täglich angesammelten Überdruß des Nachts aus dem Fenster in die Berliner Straßenwelt zu brüllen pflegt: in der gegenüber den geölten Polit-Phrasen wenigstens international verständlichen Sprache. Auch Chinesen müssen, selbst wenn sie Südkoreaner sind oder asiatische Doppelgänger von Türken in Berlin, einmal richtig aus sich herausgehen.

Kybernetik & Konfusion. („Die Kunst, Knoten zu knüpfen“, Hessen 2, 2200 -2300) Eigentlich handelt Dirk Baeckers Sendung von den Defekten des Wissenschaftsglaubens: Kybernetik, ein junges und diszipliniertes Produkt technokratischen Denkens, das komplexe Systeme kontrollierbar machen soll, trifft nur so lange zu, wie die Welt so eindeutig ist, wie sich's die Technokratie wünscht. Wo Unklarheiten auftauchen, bricht dann Konfusion aus, was Technokraten meistens ein Greuel ist. Trotzdem entstehen heute zunehmend 'Konfusionskonzepte‘, die das Sterile der ordentlichen Wissenschaften korrigieren sollen. Nur in Deutschland sind sie noch weitgehend unbekannt, was die Sendung zu verändern sucht.

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