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Pater kämpft für ein Wunder in Guatemala

Der Bauernpriester Andres Giron wird rund um die Uhr bewacht, seit sein Name auf Todeslisten steht / Rund eine Million bedürftige Landarbeiter - aber keine Landreform in Sicht / Finca „Austria“ als Selbsthilfeprojekt ohne Großgrundbesitzer /Bauernbewegung und Gewerkschaften organisieren gemeinsame Proteste  ■  Aus Guatemala Ralf Leonhard

„Es gibt Menschen, die haben Augen aber sehen nicht und es gibt solche, die haben keine Augen aber sehen“. Der schnauzbärtige Priester in der weißen Soutane schreitet zwischen den Gläubigen auf und ab, blickt ihnen eindringlich in die Augen. „Das größte Wunder ist es“, schließt er seine Predigt, „den Leuten die Augen zu öffnen“. Die Botschaft des Andres Giron hat nichts Revolutionäres. Trotzdem gilt er als der am meisten gefährdete Geistliche Guatemalas. Seit dem Umsturzversuch im Mai stand sein Name auf der schwarzen Liste der Putschisten ganz oben. Vor eineinhalb Wochen am 11.September wurde er tatsächlich beschossen. Andres Giron entging dem Attentat, sein Leibwächter wurde erschossen, ein Priester erlitt schwere Verletzungen. Andres Giron machte die „Gegener der Landreform“ für das Attentat verantwortlich.

Landprobleme sind seit Jahren das Hauptanliegen des Priesters: Am späten Vormittag ist es bereits flimmernd heiß in Tiquisate. Vor der Kirche warten schon drei Campesinos, die breitkrempigen Hüte in der Hand, den Blick verlegen zu Boden gerichtet. „Wir wollen uns der Bewegung anschließen“, sagt einer, der als Wortführer auftritt. Pater Giron setzt sich mit den Besuchern in den Schatten, läßt sich die Probleme der Bauern darlegen, gibt ihnen ein paar Ratschläge und schickt sie schließlich in die Kanzlei, wo sie sich einschreiben sollen.

Der 42- jährige Priester wurde im April 1986 mit einem Schlag berühmt, als er mit 17.000 Campesinos aus dem Süden in die Hauptstadt marschierte und von Präsident Cerezo eine Antwort auf die akuten Landprobleme an der Südküste forderte. Die Verdrängung der Baumwollplantagen durch weniger arbeitsintensive Produkte wie Soja oder Hirse, hatte Tausenden Familien, die von der Erntearbeit lebten, die Existenzgrundlage geraubt. Pater Giron erkannte die wachsende Verzweiflung der Campesinos und landlosen Agrararbeiter als Zeitbombe, die den Gang der Geschichte beeinflussen konnte. Aus Angst vor den mächtigen Großgrundbesitzern hatte die Regierung jede Art von Agrarreform von Anfang an ausgeschlossen. Ihr Wirtschaftsplan sah lediglich ein Programm für Investitionsanreize und Vorschläge für die rationellere Nutzung des Bodens vor.

Die Regierung sah sich gezwungen, eine „Nationale Bodenkommission“ zu schaffen, die sich um die Forderungen der Bauern kümmern sollte. Über Vermittlung dieser Kommission und mit Spendengeldern ausländischer Organisationen ist es der Bauernbewegung des Andres Giron im Laufe der Zeit gelungen, einige brachliegende Grundstücke aufzukaufen und zu verteilen. Seit dem Putschversuch im Mai ist die Bodenkommission paralysiert. Giron ist sicher, daß die private Agrarproduzentenvereinigung UNAGRO zu den Anstiftern der Rebellion gehört: „die Großgrundbesitzer zahlten jeweils 30.000 Quetzales (ca 12.000 Dollars) für den Putsch“.

Auf der Finca „Austria“ grasen bisher nur ein paar müde Kühe. Setzlinge in ihren Plastiksäcken warten darauf, in die Erde gestopft zu werden. In den nächsten Tagen beginnt der Bau von Wohnhäusern für die sieben Familien, die das Land bearbeiten werden. Das Pilotprojekt Finca „Austria“ - so benannt, weil es mit einer Spende des Katholischen Männerbundes in Graz finanziert wurde - soll sich in einem Jahr selbst tragen. In zwei Jahren soll es Gewinn abwerfen. Außer Grundnahrungsmitteln für den Eigenkonsum werden Erdnüsse, Obst und Mais für den Binnenmarkt angebaut. Wenn man mit sechs etwa 14 Hektar großen Parzellen beginnt, dann können in zwei Jahren mit den Überschüssen zwei weitere Parzellen zugekauft werden. Land gibt es genug, nämlich 1441 etwa gleich große Parzellen, von denen viele zum Verkauf angeboten werden.

Eine Ironie der Geschichte: das Land war der Regierung von der United Fruit Company überlassen worden, nachdem es der CIA 1954 geglückt war, die reformistische Arbenz-Regierung zu stürzen. Arbenz war nicht zuletzt über eine Agrarreform gestolpert, die mit der Enteignung des immensen Brachlandes des Obstmultis bei Tiquisate begonnen hatte. Castillo Armas, der Anführer der Konterrevolutionäre, hob zwar das Landreformgesetz auf, mußte aber dem sozialen Druck der geschädigten Campesinos durch die Verteilung des Bodens ein Ventil bieten. Damals entstand die Ortschaft Nueva Concepcion, die zweite Pfarrei, die Giron heute anvertraut ist. Doch die Betreuung mit Krediten und fachkundiger Beratung war mangelhaft: im Laufe der Jahre mußten viele ihre Parzellen zu Schleuderpreisen aufgeben.

Land wäre also genug da. Doch selbst wenn noch mehr Spendengelder hereinkommen, wird Padre Giron mit dieser Methode zu seinen Lebzeiten keine spürbare Reform erreichen. Seine Bauernorganisation ANACAMPRO ist erst der Anfang. Giron: “ Wir brauchen eine stärkere Bewegung, die einen richtigen Wechsel fordert“. Aber: „unsere Leute haben Angst, daß die alten Zeiten wieder kommen könnten“. Die alten Zeiten, das sind jene noch gar nicht weit zurück liegenden Jahre, als die paramilitärischen Banden der Großgrundbesitzer widerborstige Campesinos ungestraft umbrachten. Ende Juni wurde der lokale Organisator von ANACAMPRO in der Ortschaft Coatepeque, Salomon Figueroa, auf offener Straße erschossen. Die Täter, teils uniformiert, teils in Zivil, konnten unerkannt entkommen.

Andres Giron gilt spätestens seit dem langen Campesino Marsch im April/Mai 1986 als extrem gefährdet. Die Regierung hat deshalb zwei Polizisten abgestellt, die ihn Tag und Nacht begleiten. „Er ist ein guter Mann, der was für die Armen tut“, meint einer der Bewacher, „deswegen wollen sie ihn umbringen“. Er weiß aber ganz genau, daß er Giron bestenfalls gegen spontane Attacken von Einzeltätern schützen kann. Denn wenn jemand den Pater wirklich aus dem Weg schaffen will, schickt er einen Mördertrupp mit schweren Waffen.

Nach dem Marsch vor zwei Jahren, als die Campesinos 150 km in die Hauptstadt marschiert waren, stellte die Regierung Busse für den Rücktransport zur Verfügung. Diese Tatsache und der bewaffnete Begleitschutz, den der Pater genießt, haben Giron dem Verdacht ausgesetzt, im Auftrag von Präsident Vinicio Cerezo zu arbeiten. Die Volksorganisationen und Gewerkschaften betrachteten ihn daher mit scheelen Augen. Inzwischen ist deutlich geworden, daß die Regierung nicht willens ist, das Tabu um die Agrarreform zu brechen. Dafür engagiert sich jetzt die kämpferische Bauernorganisation CUC in den Basisgruppen von ANACAMPRO. Und der Gewerkschaftsdachverband UASP plant eine gemeinsame Aktion mit dem streitbaren Pater.

Andres Giron schätzt, daß es in Guatemala rund eine Million bedürftige Bauernfamilien gibt. Nach einer Studie der US -Entwicklungsorganisation AID haben 88 Prozent der Agrarflächen in Guatemala unter 0,7 Hektar - also zu wenig, um eine Familie zu ernähren. Nach derselben Studie gibt es über 300.000 Landarbeiter über zwanzig Jahre, die überhaupt kein Land besitzen. Es herrscht also ein Überangebot an Arbeitskraft, das es den Großgrundbesitzern möglich macht, den Erntearbeitern nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen. Eine Agrarreform, die allen Bauern genug Land verschafft, würde diese Strukturen ins Wanken bringen. Kein Wunder, daß Pater Giron viele Feinde hat, die ihm mit den verschiedensten Tricks zusetzen wollen. Momentan hat er zum Beispiel einen Prozeß am Hals, weil er 50.000 Hosen nicht zahlen will, die ihm als Sonderangebot aufgedrängt wurden. Die Beinkleider, made in Nicaragua, haben einen Nachteil, der sich im antikommunistischen Klima Guatemalas tödlich auswirken kann: nämlich der Aufdruck “ Sandinistische Volksarmee“ auf den Hosentaschen.

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