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Chaos am Himmel und auf der Erde

Jeder Donnerstag, wenn die Charterjets starten, wird auf dem Münchner Flughafen Riem zum Chaostag mit stundenlangen Wartezeiten / Nicht nur die einzige Landebahn des Flughafens ist überlastet, sondern vor allem die Fluglotsen / Auch ein neuer Flugplan kann das Problem nicht lösen  ■  Aus München Luitgard Koch

Die Bar in der Abflughalle für Charterflüge ist bis auf den letzten Platz besetzt. Die beiden Kellner haben alle Hände voll zu tun. „Ein Erdbeereis“, schreit ein Fluggast nach vorn. „Ja, wenn's es so eilig ham“, wundert sich der blonde Kellner. Denn eilig haben dürfen es die Fluggäste auf dem Flughafen München Riem, besonders an den gefürchteten Donnerstagen, eigentlich nicht. Und heute ist Donnerstag. An diesem Chaostag starten die meisten Charterflüge regelmäßig mit stundenlangen Verspätungen. Aber auch fast jeder zweite Linienpassagier der Lufthansa ist in den ersten drei Monaten dieses Jahres mit Verspätung angekommen oder gestartet. So kam es am 26. Mai dieses Jahres zu einem traurigen Rekord: Dreiundzwanzig Lufthansaflüge mußten ganz annulliert werden, alle anderen hatten Verspätung.

Ein Pärchen schleppt ein riesengroßes Surfbrett mit Segel zum Zoll. Die Warteschlange vor dem Check-in-Schalter Richtung Ibiza verlängert sich bedrohlich. Doch bis jetzt hatten die Passagiere noch Glück. Außer der Maschine ins jugoslawische Varna, die bereits zwei Stunden Verspätung hat, verläuft alles ohne größere Katastrophen. Auch die Griechenlandfans konnten planmäßig nach Thessaloniki starten. Der Flug nach Manchester hat jedoch eine dreiviertel Stunde Verspätung, verkündet eine weibliche Stimme über Lautsprecher. Aber wer will schon ins diesige England?

Fluglotsen im Dauerstress

Der Riemer Flughafen mußte 1987 9,7 Millionen Fluggäste bewältigen; das Jahr zuvor waren es noch 1,2 Millionen weniger. Mit rund 160 000 Starts und Landungen pro Jahr ist er nach Frankfurt der betriebsreichste Flughafen der BRD. Doch für den zunehmenden Ansturm reicht die eine Start- und Landebahn nicht mehr aus. Insbesondere die Fluglotsen sind durch die mangelnde Kapazität einem Dauerstress ausgesetzt. Über siebenhundert Flugbewegungen müssen von ihnen pro Tag in Riem abgewickelt werden.

Im „Air-Control Center“, auf den unzähligen Radarschirmen werden die Bewegungen auf den „Luftstraßen“ aus dem gesamten süddeutschen Raum abgewickelt. Während die Lotsen im Tower den Verkehr in der unmittelbaren Gegend des Flugplatzes sowie auf den Start-, Lande- und Rollbahnen überwachen, kontrollieren ihre Kollegen im Air-Control-Center die an und abfliegenden Flugzeuge. Die Bereichskontrolle ist für den Verkehr auf den Strecken verantwortlich. Jedes Flugzeug, das durch das kontrollierte Gebiet fliegt, muß sich über Funk bei dem für ihn zuständigen Lotsen melden, egal ob es in Riem landet oder nicht. Bei einer Landung gibt als erstes die Bereichskontrolle die Erlaubnis zum Sinkflug. Danach tritt der Lotse in der Anflugkontrolle in Aktion. Erst dann leitet der Towerlotse die Landung ein. Im Höchstfall dürfen die Lotsen 34 Starts und Landungen pro Stunde zulassen zwei über der ursprünglich errechneten Kapazität. Dadurch wird die Sicherheit nicht unbedingt erhöht. Insgesamt kam es in München in den vergangenen drei Jahren zu 20 Beinahezusammenstößen, den sogenannten „near miss“.

Reserve für Militär

Weil der Luftraum so dicht geworden ist, müssen die Lotsen „bremsen“ und so kommt es zu den Verspätungen. Wer letztlich an der zunehmenden Verdichtung schuld ist, darüber wird gestritten. Während der Deutsche Reiseverband e.V. (DRV) und die Reiseveranstalter ihren Kunden versichern der Ferienflugverkehr sei daran nur in „geringem Umfang“ beteiligt, glaubt der Sprecher der Flughafen München GmbH (FMG), deren Aufsichtsratsvorsitzender Finanzminister Streibl ist, daß das „veränderte Urlaubsverhalten“ doch entscheidend dazu beigetragen hat. Allein in München Riem hat der Charterverkehr im Vergleich zum vergangenen Juni 1987 um fast acht Prozent zugenommen. Die Lufthansa prognostiziert auf alle Fälle ein schnelleres Wachstum der Touristenflüge im Gegensatz zum Geschäftsreiseverkehr. Dieser würde durch den Ausbau der Telekommunikation mehr und mehr nachlassen. Die „Allgemeine Luftfahrt“, darunter fallen Geschäfts-, Privat- und Kleinflugzeugverkehr, ist derzeit noch mit rund 60.000 Starts und Landungen, fast einem Drittel, am gesamten Flugverkehr in Riem, beteiligt. Die Vereinigung Cockpit e.V., eine Interessenvertretung der Berufspiloten, dagegen schätzt, daß sich der gewerbliche Luftverkehr über der Bundesrepublik bis 1997 bei einer Steigerungsrate von sechs Prozent fast verdoppelt.

Die BRD gehört mit rund drei Millionen kontrollierten Flügen zu einem der am dichtest beflogenen Lufträumen der Welt. Gegenüber dem vergangenen Jahr stieg die Zahl der überfliegenden Flugzeuge um 30 Prozent. Der militärische Flugverkehr macht schätzungsweise vom gesamten Flugverkehr in der BRD zwar nur zehn Prozent aus. Die militärischen Sperrbezirke drängen den innerdeutschen Flugverkehr jedoch über der gerade 250 000 Quadratkilometer großen Bundesrepublik auf schmale Korridore zusammen. „Der größte Teil des deutschen Luftraums steht ziviler Nutzung nicht zur Verfügung“, bestätigt auch Lufthansachef, Heinz Ruhnau. Doch an diese Reserven wagt sich keiner. Lieber wird im Naturschutzgebiet „Erdinger Moos“ der umstrittene fast 1400 Hektar verschlingende Großflughafen München II gebaut. 1991 soll er seinen Betrieb aufnehmen und laut FMG „für einen unbegrenzten Zeitraum ausreichen“. Das Chaos bei der Flugsicherung ist jedoch schon bald nach seiner Eröffnung vorprogrammiert: Mitte der 90er Jahre werden rund 60 Prozent der Fluglotsen pensioniert und nur wenige wurden bisher eingestellt. Schuld an diesen Nachwuchsschwierigkeiten ist neben dem nervenaufreibenden Job die nicht gerade fürstliche Bezahlung. Nach fünf Jahren Ausbildung beträgt das Anfangsgehalt 2200 Mark netto.

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