„Es tut nur ein bißchen weh!“

Südkorea verteidigt im Taekwondo mit Schiebung und Geschick seine Vormachtstellung gegen das politisch in Ungnade gefallene Taiwan  ■  FLIPS & FLOPS

Der punkköpfige Amerikaner Juan Morena (17) ging nicht mehr von der Matte im Seouler Changchun Stadion. Obwohl er beim Finale der Fin-Gewichtler (bis 50 Kilo) im olympischen Vorführwettbewerb Taekwondo seinem koreanischen Gegner Kwon Tae-Ho eindeutig mehr Treffer zugefügt hatte, ernannte das Kampfgericht den Einheimischen zum Goldmedaillen-Gewinner. Damit wurde auch im olympischen Wettbewerb wahr, was ausländische Taekwondo-Experten im vorhinein befürchtet hatten, die Koreaner behaupten in fast allen Wettbewerben ihres Nationalsports die Vormachtstellung, notfalls auch mit Schiebung.

Von den an den ersten beiden Tagen vergebenen acht Goldmedaillen grabschten die Lokalmatadoren alleine sechs. In vier Wettbewerbern ging nur zweimal ein Ausländer mit dem begehrten Falschgold vom Siegertreppchen. Einzig die Leichtgewichtlerinnen aus Taiwan waren dem koreanischen Goldrausch massiv entgegen getreten - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Bereits am Sonntag war die leichtfüßige Chen Yi-An nach einem Sieg über eine Koreanerin und einem brillianten Endkampf gegen die Amerikanerin Debra Holloway auf's Siegtreppchen geklettert. Erst die Hausmacht, dann die Schutzmacht, das sorgte für böses Blut.

Am zweiten Tag stand einem Einpeitscher mit der koreanischen Nationalflagge - und einer gröhlenden Schulklasse im Rücken - auf der anderen Seite ein Block von taiwanesischen Nationalfahnenschwingern gegenüber. Das hatte einen tiefen politischen Hintergrund. Denn die 17jährige Chen hatte nach dem Erhalt der Goldmedaille auf der Pressekonferenz gesagt : „Ich freue mich zwar über den Sieg, doch tut es mir sehr leid, daß ich unsere Nationalflagge nicht sehen kann.“ Die Taiwanesen dürfen auf Druck der mächtigen Volkschinesen seit den Spielen 1976 in Montreal nicht mehr ihre Fahne zeigen und müssen als „Chinese Taiwan“ antreten. Politisch paßt diese Regelung auch den Koreanern gut ins Konzept. Zwar waren die strengen Anti-Kommunisten einst Bundesgenossen. Doch gerade diese 24. Olympischen Sommerspiele wollen die Koreaner dazu benutzen, die Märkte des Ostens zu öffnen. Das würde bedeuten, sie müßten die diplomatischen Beziehungen mit Taiwan abbrechen, wollten sie einen Botschafter nach Peking schicken, da beide Länder noch einen Alleinvertretungsanspruch auf den Boden des Landes der Mitte erheben.

Welch Frevel in den Augen der koreanischen Gastgeber, als die hiesigen Auslandschinesen den ganzen Tag ihre verbotenen Fahnen schwenkten. Die Jury versuchte ihr Bestes, diesen Makel wieder auszugleichen. Als im Leichtgewicht der Frauen (bis 60 kg) die von einheimischen Journalisten „zur hübschesten Athletin Taiwans“ gewählte Chen Jiu-Leng gegen Lee Eun-Young (Korea) auf die Matte trat, kam es zum weiteren Eklat. Obwohl das überwiegend mit ausländischen Schiedsrichtern besetzte Kampfgericht für das Mädchen aus „Chinese Taiwan“ plädierte, sperrte sich die Jury. Erst ein Proteststurm aller Ausländer in der Halle gebot der Schieberei Einhalt.

„Die Koreaner sind zwar noch stark genug, jeden anderen Gegner k.o. zu hauen“, sagte ein deutscher Taekwondo -Experte. „Doch wenn sie so schlechte Verlierer sind, werden sie nie erreichen, daß ihr Nationalsport zum olympischen Sport wird.“

Die Taiwanesin Chin Yu-Fang, die die Allmacht der Gastgeber noch einmal ankratzte, indem sie sich überraschend im Fin -Gewicht (bis 43kg) gegen die Einheimische Lee Hwan-Jin die Goldmedaille holte, schien dieses Geschiebe mit politisch chauvinistischem Hintergrund aber ganz locker zu nehmen. Im ersten Telefongespräch mit ihren Eltern im Beisein von Reportern, meinte die Kleine: „Mama, es hat nur ein bißchen weh getan.“

Jürgen Kremb