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Stewardeß belastet Hammadi nicht

Ulrike Derickson war nicht Augenzeugin des Mordes während der Flugzeugentführung / Hammadi als den besonneneren Entführer beschrieben / Sie sang Kinderlieder und Freddy Quinns „Heimatlos“ für Entführer  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Unter Tränen und mit bewegter Stimme berichtete gestern Vormittag die Chef-Stewardeß Ulrike Derickson über ihre Erlebnisse mit dem libanesischen Flugzeugentführer Muhamad Ali Hammadi. Die zur Tatzeit im Juni 1985 41jährige Deutsch -Amerikanerin schilderte im Verfahren vor der Frankfurter Jugendgerichtskammer die Ereignisse während der für sie über zwei Tage dauernden Irrfahrt der in Athen gekaperten TWA -Maschine zwischen Beirut und Algier.

Auch sie sagte aus, zwei Passagiere seien von beiden Entführern schwer geschlagen worden. Der eine sei der später erschossene Marinetaucher Robert Stethem gewesen, der andere der im Auftrag der US-Army tätige Dachdecker Kurt Carlson. Im Gegensatz zu einigen anderen Zeugen war sie sich sicher, daß Hammadi der „menschlichere“ und ruhigere Mann gewesen. Aber zeitweilig sei auch er „sehr, sehr brutal“ geworden. Wer von beiden Stethem erschossen habe, das habe sie nicht sehen können. Sie habe erst Schüsse gehört, als nach der zweiten Landung in Beirut ein Wortwechsel im vorderen Teil der Maschine stattgefunden hatte. Sie sagte aus, sie habe damals befürchtet, die Maschine werde von außen gestürmt. Wenig später seien uniformierte Amal-Kämpfer in das Flugzeug gekommen.

Ukrike Derickson übersetzte für die beiden Männer während der Entführung alles, was ihr Hammadi in deutscher Sprache sagte, ins Englische. Sie habe versucht, „psychologisch“ auf die Entführer einzuwirken. Manchmal erreichte sie damit auch Erleichterungen für die Passagiere. Sie sorgte später dafür, daß vier Insassen mit ihr zusammen das Flugzeug verlassen konnten. In einer ruhigeren Phase der Entführung mußte sie Hammadi das Kinderlied Backe, backe Kuchen vorsingen. Als er dann einen Schlager hören wollte, sang sie Heimatlos von Freddy Quinn. Hammadi sei sehr gerührt gewesen, sie habe das Lied noch mehrmals wiederholen müssen. Einmal habe er ihr auch die Wurst von seinem Brötchen gegeben und sie gegenüber den zugestiegenen Amal-Kämpfern beschützt. Sie habe versucht, in den beiden brutalen Männern, „immer wieder auch die Menschen“ zu sehen. Sie bestätigte Aussagen, wonach Hammadi sich mit einer Pistole gebrüstet habe. Sie habe die Waffe sogar einmal in die Hand nehmen dürfen. Kurz vor ihrer Freilassung habe er ihr dann noch eine andere Waffe, eine Magnum, gezeigt. Sie sei nur zweimal geschlagen worden, einmal zu Beginn der Entführung und ein zweites Mal von einem Amal-Mann.

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