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Ein Volk wird vertrieben

■ Die irakische Armee hat die Zwangsumsiedlung der Kurden vollendet / Von Jürgen Gottschlich

Das Regime in Bagdad ließ sich den Versuch etwas kosten, den US-Kongreß von seinem Wirtschaftsboykott abzubringen. 200 eingeflogene Journalisten aus aller Welt sollten bezeugen, daß die irakische Armee kein Giftgas gegen die Kurden eingesetzt hatte. C-Waffen oder nicht - darüber brachte die organisierte Reise zwar keinen Aufschluß. Wohl aber zeigten die irakischen Militärs stolz, daß sie in den vergangenen Wochen 4.000 kurdische Dörfer zerstört haben.

„Vivat Saddam, vivat Saddam...“ Die gut 100 Kinder und Jugendliche schreien sich die Kehlen heiser und tanzen ausgelassen um den Hubschrauber. Vor allem rund um die Fernsehkameras bilden sich Menschentrauben, die die Kameramänner fast verschlucken. Ein Voraustrupp der Armee hat das Dorf, das auf einem kahlen Hochplateau in den kurdischen Bergen liegt, mobilisiert. Unser Versuch, uns aus der organisierten Menge in Richtung auf die kärglichen Lehmhütten davonzustehlen, endet schon nach zehn Metern dann haben uns die besorgten „Dolmetscher“ der irakischen Armee eingeholt. Offensichtlich wegen unserer Begleiter wagt ein junger Mann, der uns zu verstehen gegeben hat, daß er englisch versteht, auch nicht, mit uns zu sprechen. Statt dessen deutet er mit einem Kopfnicken auf die Uniformierten und streicht sich vielsagend mit der Handkante über die Gurgel. Und schon ist der Aufpasser an unserer Seite. „You want to ask him anything?“ - „No, no, thank you.“

Als nach einer knappen Viertelstunde die Journalisten wieder eingesammelt werden und die seit dem Afghanistan -Krieg berüchtigten sowjetischen Kampfhubschrauber mit ohrenbetäubend dröhnenden Rotoren wieder abheben, ist der bisher einzige Besuch bei den im irakischen Grenzgebiet zur Türkei lebenden Kurden auch schon wieder beendet. Das war also der „unmittelbare Kontakt“, den uns die irakische Regierung versprochen hatte. Sein vorauszusehendes Fazit: Es lebe Saddam Hussein!

Einsatz von C-Waffen

„technisch unmöglich“

„Wo sind Ihre Gasmasken?“ General Adnan Khairallah, Verteidigungsminister, Generalstabschef und zweiter Mann nach Saddam Hussein, liebt es zu scherzen. Vor knapp 200 Journalisten, die das Regime in einer Blitzaktion rund um den Globus in Bagdad zusammengetrommelt hat, versucht der General, einer „infamen westlichen Kampagne“ gegen sein Land entgegenzutreten. Der Vorwurf des US-Senats, das Regime der Baath-Partei sei im Begriff, unter Einsatz von chemischen Waffen die „Endlösung der Kurdenfrage“ im Norden des Landes zu betreiben, ist natürlich eine zionistisch inspirierte Kampagne, die unter anderem dazu dienen soll, von israelischen Verbrechen gegen die Palästinenser abzulenken. Also nicht Neues. Für eine Überraschung sorgt der General dagegen, als er erläutert, warum der Vorwurf nicht stimme: In den kurdischen Bergen, so Khairallah, sei es technisch und taktisch unmöglich, Kampfgas einzusetzen, sonst würde die Armee sich selbst den Zugang zu den Gebieten versperren. Im übrigen sei die Operation - am 25.August begonnen - am 5.September erfolgreich abgeschlossen worden, die Gebiete seien nun zur Besichtigung freigegeben. „Sie können sich mit eigenen Augen überzeugen, daß es keinen C -Waffen-Einsatz gegeben hat.“

Wieviele Soldaten die irakische Armee gegen die Kurden eingesetzt hat, möchte Khairallah nicht verraten. Inoffizielle Quellen sprechen von 60.000 bis 100.000 Mann und von rund 6.000 getöteten Kurden. Auf die Frage, warum denn - wenn nicht vor dem Giftgas - mehr als 100.000 Kurden in die Türkei geflüchtet sind, hat der General eine einfache Antwort: „Die meisten Familien wurden von den Terroristen zur Flucht gezwungen. Nach der Amnestie, die wir am 4.September verkündet haben, werden sie zurückkommen.“ Angeblich sind bereits 15.000 Rückkehrer aus der Türkei gezählt worden. Kronzeuge für die Behauptungen der irakischen Regierung ist ausgerechnet die Türkei. Nachdem deren Regierungschef Özal erst zum Ärger Saddam Husseins die flüchtenden Kurden über die Grenze gelassen hatte, veröffentlichte Ankara kurz nach der Entschließung des US -Senats eine ärztliche Untersuchung, nach der bei keinem Flüchtling Spuren von C-Waffen-Einwirkungen festgestellt wurden. Da der Irak die C-Waffen-Experten der UNO nicht ins Land lassen will (General Khairallah: „Schließlich sind in Nordirland auch keine UNO-Experten“), wird die türkische Untersuchung erst einmal nicht zu widerlegen sein. Tatsache ist jedoch, daß für türkische Firmen Milliardenaufträge aus dem Irak auf dem Spiel stehen. „Die Orderbücher sind voll“, weiß ein Journalist aus Ankara zu berichten. Und daß die Irakis ihre Aufträge an politisches Wohlverhalten koppeln, wird auch von bundesdeutschen Firmenvertretern unter der Hand bestätigt. Eine unvorsichtige Interview-Äußerung Genschers, in der er den Irak als Angreifer im Golfkrieg bezeichnet hatte, soll die bundesdeutsche Wirtschaft rund 100 Millionen gekostet haben.

Ausgebranntes Land

„No picture, no picture from the helicopter!“ Immer wieder das Gleiche. Der Fotograf der 'Washington Post‘ ist kurz vor dem Explodieren. „Vier Tage habe ich auf diesen Trip gewartet - und jetzt heißt es: keine Bilder.“ Unter uns zieht sich die ausgedörrte Ebene zwischen Kirkuk und Arbil dahin. Das Gebiet ist für die Iraker militärisch sensibel, weil hier ein Teil ihrer Erdölvorräte lagert. Der Fotograf begleitet Patrick Teyler, den Korrespondenten der 'Post‘, der im Juni als erster die Kurdenstadt Halabcha besucht hatte, die durch einen irakischen Giftgasangriff - damals auch von der Regierung unbestritten - in ein Leichenhaus verwandelt worden war. Teyler insistiert am hartnäckigsten auf dem Giftgas-Vorwurf und provoziert damit schon bei der ersten Station fast einen Eklat. Nachdem der Gouverneur der „autonomen“ kurdischen Provinz Arbil wortreich jeden C -Waffen-Einsatz verneint hat, drängt der US-Journalist auf einen Besuch des Balisan-Tals - ein Gebiet, von dem kurdische Vertreter im Ausland den Einsatz von Giftgas behauptet hatten. Das, so schaltete der Vertreter der Baath -Partei sich ein, gehöre nicht zum Programm, sei zu weit und möglicherweise regne es in den Bergen schon. Auf heftigste Proteste der Presseleute wird dann doch umdisponiert. Ein Besuch in einem vermutlich präparierten Dorf bei Erbil fällt aus, und es geht zurück in die Hubschrauber. Das Balisan-Tal liegt südlich des Ortes Hadsch Omran, rund 30 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt. Schon während des Kurdenkrieges 1975 war hier eine Hochburg der Partisanen von der „Demokratischen Partei Kurdistans“ im Irak, der Peshmergas, und auch vor der jüngsten Offensive der Armee lag das Tal in ihrem direkten Einflußgebiet.

Der Helikopterflug durch die schroffen kurdischen Berge bietet ein faszinierendes Panorama und lenkt eher davon ab, nach Spuren der Zerstörung zu suchen. Die Botschaft der Irakis ist eindeutig: Wir zeigen euch alles, und ihr seht doch nichts. Fast nichts - muß man sagen, denn über dem Balisan-Tal angekommen, ist nicht mehr zu verbergen, wie die Armee hier gewütet hat. Am Ausgang des Tals sind noch Panzer postiert, die fruchtbare Ebene zwischen den Bergen zeigt großflächige Brandnarben. Deutlich sind aus der Luft die Grundrisse zerstörter Dörfer zu erkennen. Doch auf die Frage „Giftgas oder nicht?“ läßt sich natürlich so keine Antwort mehr finden. Demonstrativ marschiert der uns begleitende General der nach Kurdistan verlegten Fünften Armee auf ein Weintraubengebüsch zu, stopft sich selbst einige Trauben in den Mund und drängt sie auch den Journalisten auf. Da sich anschließend niemand in Krämpfen windet, ist für ihn der Beweis erbracht: kein Giftgas.

Propaganda-Geschütze

Ihre Pressearbeit im Verlauf des achtjährigen Golfkrieges hat den Irakis den Ruf eingebracht, geschickte Propagandisten zu sein. Diesmal, von den westlichen Medien an den Pranger gestellt, fuhren sie schweres Geschütz auf. Die Veranstaltungen in den kurdischen Städten Arbil und Dohuk liefen beide nach demselben Muster ab. Zur Einstimmung mußten Ordenbehängte Kurden, Führer von regierungsloyalen Milizen, antreten und ein hohes Lied auf ihren Präsidenten Saddam Hussein anstimmen. Mit Begeisterung hätten sie für ihr Vaterland Irak gegen die „Kollaborateure“ des Iran gekämpft, die nun ihre gerechte Strafe bekommen hätten. Im zweiten Akt traten dann „reuige Partisanen“ und Rückkehrer aus der Türkei auf, die nach der Verkündung der Amnestie ihren Fehler erkannt haben wollen. Doch ihr Part erwies sich in beiden Veranstaltungen als Flop. Über einen der vermeintlichen Peshmerga wurde im einheimischen Publikum geflüstert, er arbeite bereits seit vier Jahren für die Regierung, der andere drehte und wand sich unter den Fragen, ohne daß er sagen konnte, an welchen Aktionen der Guerilla er denn tatsächlich beteiligt gewesen war. Offenkundig präpariert waren auch die „Heimkehrer“ aus der Türkei. Den anwesenden türkischen Journalisten kostete es keine Mühe, die unglücklichen Figuren bloßzustellen. Niemand konnte beschreiben, in welchem Flüchtlingscamp in der Türkei er gewesen war, wie die Versorgung war oder wo er angeblich über die Grenze gegangen war etc. Die Scharade deckt sich mit den Angaben aus Ankara, nach denen bislang keine irakischen Kurden wieder zurückgegangen sind.

Den Höhepunkt der Veranstaltungen bildete jedesmal eine Gruppe arabischer oder kurdischer Frauen, die berichteten, wie die „Terroristen“ ihre Dörfer überfallen und ihre Angehörigen ermordet hätten. Dabei wurden Fotos massakrierter Menschen gezeigt, deren Entstehungsort niemandem klarwurde. Eindeutig war nur die Regie der Baath -Partei. Immer, wenn es kritisch wurde, blickte der Gouverneur der angeblich autonomen kurdischen Provinz Arbil oder Dohuk hilfesuchend zum Mann aus Bagdad, und der Vertreter der Baath übernahm das Mikro.

Der kurdische Widerstand

ist gebrochen

„Es war die Entscheidung der Führung“, so sagte uns General Khairallah bereits in Bagdad, „das Territorium entlang der Grenze freizumachen und keine Gebäude stehen zu lassen.“ Während der Hubschrauber die irakisch-türkische Grenze entlangdröhnt, zieht sich unter uns eine schwarze Schneise entlang. Zerstörte Dörfer, die Häuser durch Druckbomben plattgequetscht, verbrannte Felder zwischen den kahlgeschlagenen Bergen, in denen kein Mensch mehr zu sehen ist. Von Zakho, dem Grenzort im Dreiländereck Irak-Türkei -Syrien, bis Amadija, der früher schönsten Kurdenstadt im äußersten Norden an der türkischen Grenze, ein Bild der Zerstörung. Für die Menschen, die hier gelebt haben, dürfte die Frage, ob der Irak zu ihrer Vertreibung nun C-Waffen eingesetzt hat oder nicht, zweitrangig sein. Selbst wenn der Vorwurf falsch sein sollte - dieBagdader Zentralregierungen sind nun, nach 30 Jahren fast ununterbrochener Kämpfe gegen die aufständischen Kurden, am Ziel ihrer Wünsche. Über 4.000 Dörfer in den Bergen des Nordirak sind zerstört, die Menschen über die Grenzen getrieben oder in neu angelegten Barackensiedlungen in den Ebenen gut kontrollierbar konzentriert. Damit wurde ein Umsiedlungsprogramm der kurdischen Bevölkerung, das bereits in den siebziger Jahren mit Deportationen in den Süden begann und seit Anfang der achtziger Jahre systematisch durchgeführt wurde, zum Abschluß gebracht. Der kurdischen Peshmerga-Guerilla, die die irakische Armee zweimal, 1969 und 1975, an den Rand einer Niederlage gebracht hatte, ist damit die Grundlage ihrer Existenz entzogen. Mit der Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus den Bergen hat die irakische Armee der Guerilla das Wasser abgegraben, in dem sie sich wie der Fisch bewegen konnte. Übriggeblieben ist höchstens noch der „Badinan-Zipfel“ im Länderdreieck Iran-Irak-Türkei, den die Irakis der Presse auch jetzt vorenthielten. Die übrigen verbliebenen Siedlungen entlang den Straßen sind von der Armee mühelos zu kontrollieren.

Das Bewußtsein des Erfolgs ist Saddam Husseins Kriegsminister Khairallah anzumerken, als er eine Frage des 'Washington Post'-Mannes Teyler nach dem „Genozid“ in den kurdischen Bergen kühl kontert. Khairallah: „Wenn ein primitives Dorf, auf der untersten Stufe der Zivilisation, geräumt wird und die Menschen dafür Wohnungen mit Wasser, Strom und medizinischer Versorgung bekommen, ist das etwa Völkermord?“

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