: Technokrat und Wendedenker
Der Staatssekretär im Finanzministerium, Hans Tietmeyer, auf den gestern ein Anschlag verübt wurde, ist in Bonn zuständig für Weltwährungsfragen ■ P O R T R A I T
Berlin (taz) - Hans Tietmeyer ist Chefunterhändler der Bundesregierung in Sachen Weltwährungsfragen. Als „Sherpa“ ist er stets der bundesdeutsche Vertreter, wenn es um die Vorbereitung von Weltwirtschaftstagungen geht. Und wenn die auch noch auf bundesdeutschem Boden stattfinden, wie etwa der Wirtschaftsgipfel in Bonn oder die kommende IWF- und Weltbank-Tagung in Berlin, dann ist er Chef des Ganzen.
Seine Fachkompetenz gilt als unersetzlich - zumal im Finanzministerium, dessen Chef momentan eher unter dem Ruf leidet, doch nicht der kompetenteste zu sein. Als das 'Handelsblatt‘ vor zwei Jahren Tietmeyer als möglichen Nachfolger des scheidenden IWF-Chefs de Larosiere ins Spiel brachte, räumte es sogleich ein, daß er als einer der wenigen, die in Bonn etwas von Wirtschaftspolitik verstehen, wohl kaum abkömmlich sei.
Tietmeyer diente sich seit 1962 im Bundeswirtschaftsministerium empor und wechselte im Zuge der Wende 1982 auf seinen jetzigen Job als beamteter Staatssekretär im Finanzministerium. Mit politisch profilierten Äußerungen geht er als Paradebeispiel eines Technokraten nie an die Öffentlichkeit. Sein Hardlinerkurs in Sachen freie Marktwirtschaft manifestiert sich eher dann, wenn er Papiere mitverfaßt wie den berühmten Wendebrief („Lambsdorff-Papier“), zu dessen Autorenteam er als Lambsdorffs Chefdenker gehörte. Ein informierter Bonner Journalist: „Er vertritt immer fundiert die Linie, die von oben vorgegeben ist.“ Stoltenberg muß vielleicht dennoch demnächst auf diesen Fundus verzichten, wenn Tietmeyer als Direktor zur Bundesbank geht, was seit einer Woche zum x-ten Mal als Gerücht durch Bonn geistert.
ulk
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