: Freundin begleitet - „Beihilfe zur Abtreibung“
Freund einer Schülerin im Memminger Hexenprozeß wegen „Beihilfe zum illegalen Schwangerschaftsabbruch“ verurteilt Richter setzt allerdings Geldstrafe zur Bewährung aus / 16jährige Freundin sei nicht zu jung für Schwangerschaft gewesen ■ Aus Memmingen G.Schöller
Schuldig wegen „Beihilfe zum illegalen Schwangerschaftsabbruch“ - so urteilte das Amtsgericht Memmingen gegen einen 25jährigen Mann, der seine Freundin nicht alleine ließ, als sie ungewollt schwanger war. Gerhard S. (Name von der Redaktion geändert) hatte im Mai 1985 für seine damals 16 Jahre alte Freundin die Adresse des Memminger Frauenarztes Horst Theissen herausgefunden, sie zweimal zu dessen Praxis gefahren und 650 DM in bar für den Abbruch bezahlt. Dieses Verhalten sei „juristisch untragbar, wenn auch menschlich nicht ganz unverständlich“, so Amtrichter Freiherr von Castell. Gerhard S. wurde deshalb „nur“ verwarnt, die Geldstrafe in Höhe von 3.000 Mark wird zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Die Kosten des Verfahrens, rund 1.000 Mark, gehen zu seinen Lasten.
Gerhard S. ist einer der 78 Männer, die im Verlauf der „Memminger Hexenprozesse“ einen Strafbefehl erhielten. Ihre Freundinnen oder Ehefrauen hatten bei den Vernehmungen ahnungslos ausgesagt, daß der Partner ihnen beigestanden habe. Die Staatsanwaltschaft witterte darin sofort die Chance, neben den 278 Strafverfahren gegen Frauen und den Mammutprozeß gegen den Frauenarzt Theissen neue Strafverfahren wegen Beihilfe zum illegalen Schwangerschaftsabbruch einzuleiten. Die meisten Männer akzeptierten den Strafbefehl, weil sie - wie ihre Frauen die Öffentlichkeit eines Gerichtsverfahrens fürchten. Gerhard S. ist einer der wenigen, die Einspruch einlegten.
Zu Beginn der Verhandlung am späten Montag nachmittag schilderte er noch einmal die damalige Situation. Seine Freundin sei Schülerin am Gymnasium gewesen. Wenn ihre Eltern von der Schwangerschaft erfahren hätten, „wäre das eine totale Katastrophe gewesen“. Von Anfang an habe seine Freundin (und jetzige Verlobte) erklärt, daß sie die Schwangerschaft auf keinen Fall austragen wolle. Von einem Bekannten habe er die Adresse des Memminger Frauenarztes Theissen erfahren, den er dann zusammen mit seiner Freundin aufgesucht habe. Nach einem intensiven Beratungsgespräch habe Theissen befunden, daß in ihrem Fall eine soziale Indikation vorliege. „Einfach hat er es sich bestimmt nicht gemacht“, kommentierte Gerhard S. das Verhalten des Arztes heute. Theissen, in diesem Verfahren vor dem Amtsgericht als Zeuge geladen: „Ich habe das gemacht und ich würde es auch wieder tun.“
In seinem Plädoyer betonte der Staatsanwalt, das geringe Alter des Mädchens stelle noch keinen Grund für eine Abtreibung dar. Gerhard S. habe „in massiver Weise den Abbruch vorangetrieben“. Es sei für ihn billiger gewesen, einmal 650 Mark für den Abbruch, als laufend Alimente für das Kind zu bezahlen. Eine Anschuldigung, die Gerhard S. glaubwürdig zurückweisen konnte: mit seiner Freundin sei er noch heute zusammen. Sie wollten heiraten und später Kinder haben.
Der Verteidiger von Gerhard S. hatte in seinem Plädoyer Freispruch beantragt. Es wäre „doch sehr verwunderlich“ gewesen, wenn er seine Freundin in solch einer schwierigen Situation alleine gelassen hätte. Seinem Mandanten sei nicht bewußt gewesen, daß er sich strafbar machte.
Der Angeklagte habe gewußt, daß beim Frauenarzt Theissen eine Abtreibung möglich sei, warf Amtsrichter von Castell Gerhard S. bei der Urteilsbegründung vor. Er hätte sich über die Rechtslage eingehend informieren müssen. Da er aber als Mensch einen positiven Eindruck hinterlasse (Gerhard S. ist Berufssoldat), werde er zwar schuldig gesprochen, eine Verwarnung genüge jedoch in seinem Fall.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen