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Ein Männerimitat will keine sein

■ Gewerkschaftsfrauen sind von den Ideen der Frauenbewegung infiziert / Sie pochen zunehmend auf Eigenständigkeit und „weibliche“ Utopien / Der allzeit funktionierende Funktionär ist kein Vorbild mehr

Sybille Stamm

Sybille Stamm ist Tarifsekretärin bei der IG-Metall -Bezirksleitung Stuttgart. 120 „Hauptamtliche“ gibt es bei der IGM Baden-Württemberg, darunter acht Frauen. Sybille Stamm ist eine von ihnen. Bei dem denkwürdigen Frankfurter SDS-Kongreß, wo 1968 die Tomate flog, war sie übrigens auch dabei.

d.Red.

Ihr meint, euer Geschlecht legitimiert euch, individuelle und persönliche Probleme als politische hochzustilisieren und der Organisation aufzuzwingen.“ Dieser Satz wurde nicht im September 1968 formuliert und mit Tomaten beantwortet, sondern 20 Jahre später in einer der zahlreichen Auseinandersetzungen um die „Frauenfrage in den Gewerkschaften“.

Er wurde formuliert von einem Zeitgenossen, Gewerkschaftssekretär und Lebensgefährten.

Ich will von der persönlichen Betroffenheit, vom „Herzblut“ - wie Marilyn French es nennt - absehen und relativieren: In dieser besagten Diskussion war ich ungeduldig, impertinent und über weite Strecken ungerecht. Für letzteres entschuldige ich mich. Impertinent, also eindringlich, ungebührlich zu sein, halte ich bei der Auseinandersetzung um die Gleichstellung von Frauen in den Gewerkschaften zwischenzeitlich für eine unverzichtbare Eigenschaft. Ich gebe zu, das Lernen dieser Eigenschaft fällt immer noch schwer, denn frau macht sich unbeliebt.

Natürlich hat sich in 20 Jahren in den Gewerkschaften etwas verändert. Wenn sich Gewerkschaftsfrauen heute als Teil der Frauenbewegung verstehen, meint das auch den Anspruch auf Eigenständigkeit. Das war nicht immer so. Viele Jahre lang verkörperten die meisten von uns das, was die amerikanische Frauenbewegung wohl mit dem Begriff „konservativer Feminismus“ bezeichnet. Wir waren engagiert in frauenpolitischen Fragen wie Lohndiskriminierung, Doppelbelastung oder Paragraph 218, aber im Grunde stellten wir unsere Forderungen und Bedürfnisse immer zurück, wenn es um das „große Ganze“ ging.

Wir vermeinten, tolerant und politisch klug zu sein, wenn wir Forderungen und Bedürfnisse zurückstellten mit der Begründung, die Frauenfrage sei (nur) Teil der großen sozialen Frage. Letzteres vertrete ich heute immer noch, aber bitte nicht mechanisch als historisches „Erst wenn..., dann...“ verstanden. Mir gefällt der Sponti-Spruch aus der autonomen Frauenszene: „Auch für Frauen gibt es ein Leben vor dem Sozialismus“ Quoten statt Frauenförderung

Verändert hat sich, daß die Gewerkschaftsfrauen nicht mehr nur fordern. Heute kämpfen sie um Mandate in den betrieblichen Lohn- und den bezirklichen Tarifkommissionen nach dem Motto: Wir müssen uns einmischen - was wir nicht selber machen, passiert nicht. Gewerkschafterinnen haben auch in dieser Hinsicht viel von der autonomen Frauenbewegung gelernt. Jahrelang haben sie im stillen gearbeitet. Man(n) hat sie übersehen und überhört. Erst seitdem wir uns laut und vernehmlich zu Wort melden, seitdem wir in der eigenen Organisation unbequem geworden sind, können wir uns Gehör verschaffen.

Ich halte die Gleichstellungsdiskussion in unseren Reihen für außerordentlich wichtig und Quotierung für notwendig. Ärgerlich ist die nach dem SPD-Parteitag von einigen Gewerkschaftern aufgebrachte Diskussion über den angeblichen Gegensatz zwischen Quotierung und Frauenförderung. Sie ist irreführend und falsch, und manchmal frage ich mich, ob vergessen wird, daß das höchste Gremium der IGMetall bereits 1986 beschlossen hat, „Frauen auf allen Ebenen und in allen Bereichen mindestens entsprechend ihrem Beschäftigtenanteil in der Metallwirtschaft zu beteiligen“ - und der beträgt zur Zeit knapp 23 Prozent.

Das ist ja wohl unbestritten eine Quote, eine Zielquote, wie wir sagen. Die desorientierende Diskussion Quotierung kontra Frauenförderplan verdeutlicht aber auch die Problematik der Sprache.

Frauenförderung - zur Zeit ist wohl das Wort „Sportförderung“ geläufiger - das klingt etwa so: Man(n) will/soll etwas, das „normalerweise“ zurückbleibt, nach vorne bringen. Die Begrifflichkeit unterstellt allemal Defizite. Die gibt es ohne Zweifel, insbesondere bei der Beteiligung von Frauen an politischen Entscheidungen. Die Unschärfe des Wortes läßt jedoch auch eine andere Interpretation zu. Das Defizit wird nicht mehr als Mangel der Organisation begriffen, sondern geschlechtsspezifisch weiblich gewendet. Das klingt dann etwa so: Da die Frauen natürlich sozialisationsbedingt - intellektuell, politisch und auf ihre Durchsetzungsfähigkeit bezogen zurückgeblieben sind (die armen), brauchen sie besondere Fördermaßnahmen, um auf Vordermann gebracht zu werden. So haben wir es allerdings nicht gemeint.

Keine Männerimitate

Ich arbeite seit über zehn Jahren in einer Männerorganisation. Das ist nicht ungefährlich und geht nicht spurlos vorüber. Mein Alltag ist hart und immer noch ziemlich männlich, auch wenn ich mich bemühe, ihn anders zu gestalten. Das Bild des Gewerkschaftssekretärs läßt bis heute kaum weibliche Lebensentwürfe zu. Ein Gewerkschaftssekretär ist vom inneren Verständnis der Organisation her grundsätzlich gesund und stark, nie müde, zu jeder Tages- und Nachtzeit einsatzbereit und weiß natürlich immer, wo es langgeht. Für Unsicherheiten und Skrupel vor zu schnellen Urteilen, für die eher weibliche Fähigkeit, Probleme gründlich von allen Seiten zu beleuchten und Zweifel zuzulassen, ist da wenig Raum.

Die geschilderten Normen, preußischen Fabriktugenden nicht unähnlich, sind in der Organisation verinnerlicht; das Ergebnis sind leider zu oft kaputte und ausgebrannte Typen. Auch das wollen wir ändern. Ich denke, daß wir Frauen dabei einfach bessere Karten und mehr „barocke Lebensfülle“ einzubringen haben.

Ich selber war lange Zeit gefährdet, ein Männerimitat zu werden. Ich wollte so sein wie sie und glaubte, wenn ich mir einen Schutzpanzer anerzöge, würde ich die dazu notwendige Härte entwickeln. Ich weiß um die Verkürzung, aber im Kern ist richtig, daß die Frauenbewegung mich davor bewahrt hat.

„Zukunft“ ist nicht mehr glaubwürdig zu formulieren, ohne daß Frauen eine Rolle spielen. Das weiß man(n) auch bei Gewerkschaften. Vielleicht klingt das für manches kritische Ohr zu euphorisch, hat frau bei Gewerkschaften doch schnell das Bild einer verkrusteten Großorganisation im Kopf.

Es gibt in unseren eigenen Reihen aktive, fortschrittliche Frauen, die sich scheuen, politische Funktionen, zum Beispiel eine Hauptamtlichen-Tätigkeit, zu übernehmen. Sie haben Angst, daß diese Organisation sie bis zur eigenen Unkenntlichkeit verändern würde.

Diese Gefahr ist nur so lange vorhanden, solange Frauen „Einzelexemplare“ bleiben.

Mit der besseren Beteiligung von Frauen auf allen Politikebenen kann der Anpassungsdruck in Richtung männlicher Verhaltensnormen überwunden werden. Die Organisation wird dann ein anderes Gesicht bekommen.Ich gehöre nicht zu jenen, die behaupten, Frauen wären per se die besseren Menschen. Gewinnbringend für alle wird die Einmischung von Frauen nur dann, wenn wir unsere Vorstellungen von Befreiung und Zukunft diskutieren, theoretisch verdichten, aber auch ein Stück weit praktisch leben. Die Gewerkschaften sind eine großartige, herzliche, aber oft genug gerade gegenüber Frauen sehr rigide Familie. Der zwar denkwürdige, für meinen Geschmack jedoch viel zu häufig von Gewerkschaftsmännern zitierte Satz von Bert Brecht: „Wir, die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein“ (1936 geschrieben!), gerinnt zur Leerformel, zu einer matten Entschuldigung für kollektives Fehlverhalten. Denn zur Zeit wäre Zeit, Verkehrsformen zu kultivieren, Menschlichkeit zu praktizieren und demokratische Spielregeln zu leben. Das allerdings hätte für die Gewerkschaften zur Voraussetzung, Frauen gleichzustellen.

Am Wochenende findet die Bundeskonferenz der IGM-Frauen statt, die sich unter anderem mit der Frage „Frauenförderung“ beschäftigen wird. Die taz wird berichten.

Teil V der Serie 20 Jahre Frauenbewegung erscheint Samstag, den 1.Oktober.

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