: Die einsame Show des Naim Suleymanoglu
Als Bulgare Shalamanov gewann er 1986 den Weltcup, als Türke holte er nun Olympia-Gold: der Gewichtheber Suleymanoglu / Der türkische Staat hofiert den patriotischen Volkshelden wie keinen anderen ■ Aus Seoul Herr Thömmes
Es muß sich um einen Irrtum handeln. Wie sonst käme dieser kleine Kerl auf die Bühne, wo eine schwer mit Eisen bepackten Hantel wartet. Er sieht aus - mit seinem glatten, bartlosen Gesicht, mit seiner Größe von 152 Zentimetern -, als wollte er eigentlich zu einem Jugendturnier.
Und doch tritt er zielstrebig auf das Gewicht zu, bläst sich immer wieder eine Locke aus der Stirn, korrigiert kurz den Griff und die Stellung der Füße. Dann geht er tief in die Hocke, öffnet weit den Mund, als wolle er einen befreienden Schrei ausstoßen, doch nichts ist zu hören, sekundenlang, alle Energie bleibt in seinem Körper. Scheinbar mühelos reißt er 145 kg in die Höhe.
Das war der erste Streich des Naim Suleymanoglu an diesem Abend, und schon der ließ erahnen, was noch kommen sollte. Ein Anfangsgewicht, das glatte 7,5 kg über dem besten Ergebnis seines schärfsten Konkurrenten lag. Und dabei winkt er einfach mit der Hand ab, als er die Hantel mit einem dumpfen Schlag zu Boden fallen läßt. Was war das schon, wo doch das Reißen seine Paradedisziplin ist. Er ist doch der einzige Mensch dieser Welt, der das zweieinhalbfache seines Körpergewichts mit einem Ruck nach oben bringt. Was folgt, sind sechs Weltrekorde: zwei im Reißen, zwei im Stoßen, zwei im Zweikampf. Nur einmal wackelt Suleymanoglu kurz, macht ein paar kleine Tippelschritte. Aber er lächelt, als einziger Gewichtheber lächelt er, während er die Zentnerlasten noch über dem Kopf hält, und beim letzten Gewicht, den 190 Kilo, als der Hals dick anschwillt, fast auf den Umfang seiner gigantischen Oberschenkel, sieht das ein bißchen grotesk aus.
Nun steht Naim Suleymanoglu aus der Türkei in der Gewichtsklasse bis 60 Kilogramm mit allen Bestleistungen an der Spitze. Ein Weltrekord, der im Reißen, gehörte ihm bereits selbst; die beiden anderen waren 1986 von dem Bulgaren Naum Shalamanov aufgestellt worden. Dieser zählte in seinem Land zur türkischen Minderheit, die stark unter der Bulgarisierungspolitik zu leiden hatte: unter anderem wurden alle Namen geändert. Am 9.12.86, Shalamanov hatte in Melbourne gerade den Weltcup gewonnen, kehrte er nicht nach Bulgarien, sondern in die Türkei zurück - als Naim Suleymanoglu.
Man muß diesen Hintergrund kennen, um zu verstehen, warum der Zweitplazierte Stefan Topourov bei der Siegerehrung keinen Blick für den Gewinner der Goldmedaille hat. Die beiden haben früher miteinander trainiert, und Topourov mußte sich von der 67,5-Kilo-Klasse herunterhungern, um Suleymanoglu Konkurrenz zu machen. Noch im Mai, bei der EM in Cardiff, war ihm das gut gelungen. Nur um ganze 7,5 kg wurde er distanziert, und sein ehemaliger Landsmann sah in ihm für Seoul „den stärksten Konkurrenten“. Nichts war davon zu sehen, und die Überlegenheit des Suleymanoglu drückt sich in Zahlen aus: 30kg mehr als Topourov wuchtete er im Zweikampf in die Höhe, den olympischen Rekord verbesserte er um 52,5 kg.
Spannend war deshalb nicht der Wettkampf, sondern die einsame Show eines Gewichthebers, der von den türkischen Fans abgöttisch gefeiert wurde. Türkische Journalisten hüpften zwischen den Presseplätzen umher, mit ausgebreiteten Armen versuchten sie den Beifall während seiner Versuche zu dämpfen, um ja die Konzentration nicht zu stören.
Eine Million Dollar soll der türkische Staat an Bulgarien gezahlt haben, um die Freigabe Suleymanoglus zu erwirken und die eigentlich bei Verbandswechsel fällige Dreijahressperre zu vermeiden. In der Türkei wird er behandelt wie ein Juwel. Er wohnt in einem hochherrschaftlichen Landsitz, besitzt eine Luxuskarosse mit Chauffeur und bekommt eine Rente auf Lebenszeit. Ministerpräsident Turgut Özal persönlich ordnete an, daß der Gewichtheber nach seinem Sieg mit einem Privatflugzeug aus Seoul abgeholt wird.
Im Gegenzug bedankte sich Suleymanoglu mit derart patriotischen Worten, daß erneuter Applaus die Pressekonferenz unterbrach. Woher hat er nur die Kraft für diese Leistung? „Die ziehe ich aus den 55 Millionen Türken, die jetzt vor dem Fernseher sitzen.“ Topourov schaute noch immer weg, und die bulgarischen Funktionäre hörten es mit finsterer Miene.
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