: Kurdische Giftgasopfer in der Türkei gefunden
■ Mitarbeiter der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ fand giftgasverletzte Kinder in einem Krankenhaus im türkischen Yüksekova / Offizielle Diagnose: Unterernährung
Berlin (taz) - Nach Recherchen der Göttinger Gesellschaft für bedrohte Völker, hat die irakische Armee entgegen ihren Behauptungen doch Giftgas gegen die kurdische Zivilbevölkerung im Norden des Landes eingesetzt. Ein Mitarbeiter der Gesellschaft, der sich vom 6. bis 15. September in den kurdischen Flüchtlingslagern in der Osttürkei aufgehalten hat, stieß im Kreiskrankenhaus von Yüksekova in der Provinz Hakkari auf sechs offensichtlich giftgasverletzte kurdische Kinder aus dem Irak. Nach Aussagen von Angehörigen sind diese zwischen dem 25. und 30.August in irakische Giftgasangriffe in den kurdischen Regionen Zakho, Nerva-Rekan, Ciya Gara und Ciya Matina geraten.
Das irakische Regime hat trotz vielfacher anderslautender Aussagen der Flüchtlinge in der Türkei heftig bestritten, im Rahmen ihrer Operation gegen die Kurden des Irak C-Waffen eingesetzt zu haben. Unterstützung erhielt der Irak durch die türkische Regierung. Diese hatte eine ärztliche Untersuchung veröffentlicht, nach der bei den Flüchtlingen angeblich keine Spuren von Giftgasverletzungen festgestellt werden konnten. Die Frage des Giftgaseinsatzes fand international große Beachtung, nachdem der amerikanische Senat in einer Resolution den Irak wegen der C-Waffen -Einsätze verurteilt und Wirtschaftssanktionen angedroht hatte.
Der behandelnde Arzt der kurdischen Flüchtlingskinder bestätigte im Gegensatz zu den Aussagen seiner Regierung der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, daß es sich bei den Verletzungen der Kinder um bislang nicht identifiziertes Giftgas handele. Auf Anweisung „von oben“ habe er als Diagnose jedoch offiziell „Unterernährung“ angeben müssen. Bislang konnte das Regime in Bagdad immer darauf verweisen, daß sowohl die kurdischen Organisationen als auch US -Außenminister Shultz die Beweise für ihre Behauptungen schuldig geblieben seien. Tatsächlich hatten auch türkische Journalisten in den Flüchtlingslagern keine Gasverletzten gefunden, obwohl alle Betroffenen übereinstimmend von Gasangriffen durch die irakische Armee berichteten. Diesen scheinbaren Widerspruch erklärte der Vertreter der Göttinger Hilfsorganisation, Alexander Sternberg, mit dem Vorgehen der türkischen Armee. Alle Verletzten, so Sternberg, würden unmittelbar nach Grenzübertritt in Militärkrankenhäuser transportiert und dort vor der Öffentlichkeit versteckt. Die türkische Regierung wolle dadurch Komplikationen im Verhältnis zum Irak vermeiden und einer Internationalisierung des Flüchtlingsproblems vorbeugen.
Die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ forderte die Bundesregierung eindringlich auf, ihre guten Beziehungen zur Türkei einzusetzen, um Hilfsgüter und Transportmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die jetzige Unterbringung der Flüchtlinge sei völlig unzulänglich. In einer Aktuellen stunde hat der Bundestag gestern über das Vorgehen der irakischen Armee gegen die Kurden diskutiert. Vertreter sämtlicher Fraktionen äußerten Zweifel an den Dementis aus Bagdad und selbst der Vertreter des Auswärtigen Amtes, Staatsminister Schäfer bedauerte, daß der Irak die Entsendung einer UN-Expertenkommission zur Untersu Fortsetzung Seite 2
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chung der Giftgasvorwürfe abgelehnt habe. Die Abgeordneten sprachen durchweg von einem „unglaublichen Rachefeldzug des Irak, von Völkermord und grausamer Gewaltanwendung“. Der Auswärtige Ausschuß des Bundestages hatte vor der Aktuellen Stunde einstimmig einen Resolutionsentwurf verabschiedet, der in der nächsten Woche im Plenum abgestimmt wird.
JG
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