: RAF bekennt sich zu Tietmeyer-Anschlag
Anschlag auf Finanzstaatssekretär eine versuchte Entführung? / Tatwaffe und scharfe Munition gefunden ■ Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Ein RAF-Kommando mit dem völlig unbekannten Namen „Khaled Aker“ hat sich gestern zu den Schüssen auf das Auto des Finanzstaatssekretärs Hans Tietmeyer bekannt. In einem mit dem RAF-Stern unterzeichneten Bekennerschreiben, das am Dienstag von Bonn aus an 'dpa‘ geschickt worden war, heißt es u.a.: „Tietmayer ist Stratege und einer der Hauptakteure im internationalen Krisenmanagement ...es gab in den letzten Jahren keine wichtigen Wirtschafts- oder währungspolitischen Entscheidungen, an denen er nicht maßgeblich beteiligt war.“ (s. Dokumentation auf S.5) Dem zweiseitigen Bekennerschreiben ist ein gemeinsames, allgemein gehaltenes Politikpapier von der Roten Armee Fraktion und der italienischen „Brigade Rosse“ beigelegt. Die Bekennerschreiben, die von den Ermittlungsbehörden für „sehr echt“ gehalten werden, gehen in ihrem ersten Teil zwar auf die Funktion des Finanzstaatssekretärs ein - zum konkreten Ziel des Anschlags jedoch nur mit dem einen knappen Satz: „Heute haben wir mit dem Kommando Khaled Aker den Staatssekretär im Finanzministerium, Hans Tietmeyer, angegriffen.“
Am Tatort, einem Waldstück in einer engen Linkskurve nahe Tietmeyers Wohnort Heiderhof, fand die Polizei eine sogenannte „Vorderschaftrepetierflinte“, aus der die Schrotschüsse abgegeben wurden. Daneben lag ein volles Magazin einer Maschinenpistole. Die Schrotflinte stammt nach Angaben der Bundesanwaltschaft aus der Beute eines vier Jahre zurückliegenden überfalls auf ein Waffengeschäft in Maxdorf bei Ludwigshafen. Dieser überfall, bei dem damals mehr als 20 Schußwaffen gestohlen wurden, wird der RAF angelastet. Teile dieser Waffenbeute sollen in einer konspirativen Wohnung der RAF in offenbach und der „Action directe“ in Frankreich gefunden worden sein. Eine Pistole aus dem Maxdorfer Überfall trug die inzwischen wegen RAF -Mitgliedschaft in erster Instanz verurteilte Eva Haule -Frimpong bei ihrer Festnahme in der Handtasche.
Möglicherweise - so spekulieren jetzt die Ermittlungsbehörden - planten die Schützen, mit den Schrotschüssen Tietmeyers Auto zum Stoppen zu bringen, um den hohen Finanzbeamten dann zu entführen. Tietmeyers Chauf
Fortsetzung Seite 2
feur hatte nach den ersten Schüssen Vollgas gegeben und war mit zerschossenem Reifen weitergefahren. Innenminister Zimmermann präsentierte der Bonner Presse gestern drei mögliche Tatversionen: es könne sich um eine versuchte Entführung, einen geplanten Mordanschlag oder eine Aktion handeln, mit der die Täter vor der IWF-Tagung bloß Aufmerksamkeit erregen wollten. Die Schrotschüsse, so erklärte Regierungssprecher Ost auf Nachfragen, seien aus einer Entfernung von weniger als 30 Meter abgegeben worden. Die Täter hätten auch mit der Schrotmunition den hohen Finanzbeamten lebensgefährlich verletzen können, wenn sie auf die Scheiben gezielt hätten. Damit korrigierte das BKA seine Aussagen vom Vortag, in der die Schrotmunition eher als harmlos bezeichnet worden war. Daß sowohl die Waffe als auch das Magazin mit scharfer Munition am Tatort hinterlassen wurden, ist äußerst ungewöhnlich und spricht nach Auskunft des BKA dafür, daß die Täter entweder „absolute Laien“ waren oder überstürzt den Tatort verlassen mußten. Die Fahndungen konzentrieren sich jetzt auf ein Motorrad und einen orangefarbenen Mittelklassewagen, die unmittelbar nach den Schüssen am Tatort vorbeigefahren waren. Auch ein Mercedes wird gesucht, der am Vortag nahe des Waldstücks beobachtet wurde. In Bonn spitzte sich gestern die politische Diskussion auf die Frage zu, wer für die fehlenden Sicherheitsmaßnahmen für Tietmeyer verantwortlich sei. Das Bundesinnenministerium schob gestern die Zuständigkeit dafür, daß Tietmeyer als führender Finanzbeamter der Bundesregierung weder eine body-guard noch ein gepanzertes Fahrzeug hatte, dem nordrheinwestfälischen Innenminister Schnoor zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen