UNREINE MISCHUNG ERSTER ORDNUNG

■ Transmission II im Tempodrom

„Ich hatte immer eine Schwäche für Mandarin-Curacao-Bier, wovon ich sehr schnell betrunken wurde. Diese großartigen Mischungen verschwinden leider immer mehr.“ (Luis Bunuel) Transmission II eröffnet den Cocktail-Contest am Freitag abend. Wodka mit Himbeersirup, Faßbrause mit Krimsekt. Das Übliche. Was soll die Aufregung? Worauf warten wir? Auf Riga? Auf Leningrad? Wieso denn auf einmal? Die Euphorie der CCCP-T-Shirts, die Entdeckung der Sowjetunion, jeder fährt nach Moskau, ich will wieder nach New York und freue mich doch auf das Wochenende.

Die „Populären Mechaniker“ klettern auf den „Einstürzenden Neubauten“, „The Blech“ singen „Salo S Lukom“ und „Westbam“ belästigt „Eastbam“. Das kann ganz entsetzlich oder schrecklich schön werden - spannend wird es auf jeden Fall. Rendsburger Wodka: Sergey Kurjochin darf ausreisen. Mit zwölf Leningrader Musikern fällt er über Schweden nach Berlin ein. Kurjochin, inzwischen Symbol der sowjetischen Avantgarde aus Stahlblech, Free Jazz, seelenvoller Wolgagitarre und Fernöstlichem stellt sich Berliner Versprengten zum Kampf. Freiwillige aus den Abteilungen „Element of Crime“, „Caspar Brötzmann Massaker“, „The Beatitudes“, „Foyer des arts“ u.a. werden überrollt, wechseln die Linie oder treten der Roten Armee bei. Der Alliierte Kontrollrat tanzt! Westbam scratcht auf Platten sein sowjetischer Bruder Eastbam auf Kassetten. Wie man das macht: eine Kunst, ein Geheimnis! Platten sind rar in der Sowjetunion, man pflegt sie und kratzt nicht darauf rum.

Glashütte: Niederbayerisches Blech, geschmiedet im Allgäu, versetzt mit einem Spritzer kurdischem Likör: „The Blech“. Wer die Bläsersätze von PigPag noch im Ohr hat und „Rip Rig Panic“ im Regal, weiß, was er serviert bekommt. Free-Jazz -Splitter, ein satter Baß über Wasserplätschern, die Trompete zur wabbernden Elektroorgel und Dada-Texte mit Salzrand-Dröhnung - das Schönste an Bayern ist der - wenn auch seltene - bierfreudige Anarchismus. Wer Achternbusch nicht verehrt, ist des Chaos‘ nicht wert. Die Neubauten sind rein: Haut, Luft, Blut und Seele - ein lebender Organismus. Man kann sie hassen, aber nicht kritisieren. Ganz einfach: Eine „Royal Battle“ der Neubauten mit den populären Mechanikern. Der Sieger wird in Spandau ermittelt. Öffnet die Fenster!

Samstag nacht: „Manchmal sollte man den Noilly Prat erst dann in den Gin geben, wenn ein Sonnenstrahl ihn berührt hat. Ein guter Martini Dry sei wie die unbefleckte Empfängnis.“ Heiner Müller, „harmloser Pornograph“, Zigarrenraucher, Alkoholkonsument, liefert den Text, Heiner Goebbels die Komposition. „Der Mann im Fahrstuhl“ ein Prosateil aus dem Theaterstück „Der Auftrag“. Ein Angestellter fährt im Aufzug nach oben. Er soll von seinem Chef einen wichtigen Auftrag erhalten. Der Lift verselbständigt sich, die Zeit zerbricht, er landet in Peru, seiner neuen Freiheit unsicher. Kunst? Drei Sprecher: Heiner Müller, Holger Hiller auf deutsch, Arto Lindsay auf englisch. Hörspiel? An den Instrumenten: Don Cherry, Fred Frith, Charles Heyward, Arto Lindsay (West), Johann Bauer, Dietmar Diesner (Ost). Art-Star-Band? Und alles ist doch ganz anders: „Die befruchtende Kraft des Heiligen Geistes durchquert das Hymen der Jungfrau Maria, wie ein Sonnenstrahl, der durch eine Glasscheibe fällt, ohne sie zu zerbrechen.“ So ist es. Nicht der Mike Mantler/Carla Bley Art-ige Literatursumpf, sondern zarte Eindeutigkeiten von Musikern, die man einzeln herausschmeckt. Allein das Bossa -Nova-Intermezzo Arto Lindsays ist ein Abend für sich.

„Evidenter Impressionismus“, schreibt ein lettischer Avantgardist über „19 Jahre ungefähre Kunst“ - was es alles gibt! Dramatisch westlich verrührte Sprechflüsterstimme, wie ein Franzose singt, der des Russischen nicht mächtig ist und eigentlich einen „La Loora“ bestellt hatte.

Stellen Sie sich vor, sie treffen jemanden in einer Bar und über Ihnen leuchtet plötzlich die Neonschrift: „Die Begegnung mit einer völlig neuen Kunstform“. Ungemütlich! „Transmission“ klingt anstrengend, „East meets West“ veraltet, „Zum erstenmal die Sowjetunion in ...“ peinlich. Man weiß dann schon, wohin man hören soll. Statt dessen die Karte durchgehen! Die Brille Arto Lindsays im Auge behalten! Lacht Fred Frith diesmal? Hüpft Kurjochin noch immer? Man muß der Hochkonjunktur für Russisch-Studenten und Intermusik nicht folgen. Das Glas ist bis zum Rand voll. Prost!

Konrad Heidkamp

Am 27.9.. wird Sergey Kurjochin mit einer kleinen Formation der Popularnaja Mehanika im Quasimodo auftreten! Beginn: 22 Uhr.