: Nicht jeder Punk ist krank
■ 1. Festival Politik im Freien Theater am Sonnabend: Die „Theaterwerkstatt Unna“ mit „Klassenfeind“ und vielen dicken Klischees, wie sich Bürgerkinder Punks vorstellen
In Hameln hatten sie ein Rattenproblem. In Unna haben sie ein Punkproblem. Wie das in Hameln gelöst wurde, weiß jeder, in Unna aber haben sie ein Theaterstück gemacht. Sie'das ist die Theaterwerkstatt Unna in Zusammenarbeit mit der Stadt Unna.
„Klassenfeind“ von Nigel Williams, das ist im Normalfall ein Stück, das die Stimmung von „No future“ und „null Bock“ wiedergeben soll. Aus diesem Grunde sind die sechs Charaktere Angehörige ganz verschiedener „Schubladen“: Rocker, Müsli, Bürgersohn. Diese unterschiedlichen Menschen stoßen dann, im Klassenzimmer alleingelassen, mit ihren grundverschiedenen Problematiken aufeinander. Zeitweise scheint ein Verständnis, eine Annäherung möglich, letztlich versinkt das Ganze jedoch im resignierenden „no sense“.
In Unna aber hat man eben ein Punkproblem, „und deshalb hat man die deutsche Übersetzung ein bißchen angeglichen“, sagt der
Regisseur. In offensichtlicher Unkenntnis englischen Slangs wurde dabei jedes „fuck“ mit einem negativ-Ausdruck übersetzt. Die verschiedenen Figuren des Stücks wurden auf unterschiedliche Ausgaben der Spezies „Punk“ reduziert: Durchweg schlägernde Randalierer, die zwar irgendwie nix dafür können, aber ganz normal sind die nicht. Die darstellerische Leistung war größtenteils einfach schlecht und Spannung wurde häufig mit Lautstärke verwechselt. Bei diesen sehr jungen Schauspielern kein Wunder, sie kamen alle aus dem Schülertheater - kein Grund zur Schande, nur wenn man es braucht, sich als Profi-Theater zu verkaufen, darf man sich nicht wundern, auch mit solchen gemessen zu werden.
Die nachfolgende Diskussion raubte zudem noch den entschuldigenden Glauben an Oberflächlichkeit als Ursache dieser Mängel. Da wurde von Punks ständig als „die“ geredet, da wußte der
künstlerische Leiter nicht, ob Kontakte zu Punks geknüpft worden waren, da hatte sich die gesamte Gruppe mit Schlips angetan, offensichtlich, um sich von denen, die sie dargestellt hatten, zu distanzieren. Auf die zögernde Kritik, die im Publikum laut wurde, reagierte die Gruppe, als ob sie nie vorher kritisiert worden wäre - Fragen wurden nicht beantwortet - teilweise ein Verdienst des ewig lächelnden, ständig unterbrechenden Disussionsleiters von der Zentrale für politische Bildung. Traurig, schließlich muß der Gruppe seit längerem bekanntgewesen sein, daß ihr diese Diskussion bevorstünde. Offenbar war aber die Möglichkeit, nicht gelobt zu werden, nicht einkalkuliert.
Eine Zuschauerin brachte das Ganze auf den Punkt: sie hätte das Stück ganz toll gefunden, weil sie mit ihrer Tochter hiergewesen, und jetzt froh sei, keinen Sohn zu haben.
Anja Herholz
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