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Umstrittene Flugschau der Plastikflieger

■ Drachenfestival im Freizeitpark Marienfelde / Naturschützer beantragen Einstweilige Verfügung - ohne Erfolg

Der Himmel über Berlin glich einem Farbenmeer. Bunte Drachen aus aller Welt zappelten im böigen Wind. Schön war es anzuschauen, wie auf dem Hügel des Freizeitparks Marienfelde einer Tradition gefrönt wurde, die 2.500 Jahre alt ist. Das 5. Internationale Drachenfestival zog Tausende in seinen Bann. Da gab es sensationelle, ja irre, Konstruktionen zu beäugen. Informationen über jedes Fluggerät, woher es kommt, wem es gehört, schallten aus den Lautsprechern. Sogar Teilnehmer aus Asien waren herbeigekarrt worden. Und aus den USA. Die Show wurde zu einem vollen Erfolg. Das Fest sei konzipiert worden, schrieben die Organisatoren, „um den Austausch der Drachenbaukultur zu fördern und gleichzeitig den Berlinern die Möglichkeit zu geben, die Drachen aus anderen Ländern zu betrachten.“

Ideell unterstützt wurde die Veranstaltung von der Kulturverwaltung im Rahmen von „E 88“. Gesponsort von der Lufthansa, der Sparkasse Berlin und einer malayischen Fluggesellschaft. Der Eintritt war gratis. Dennoch nicht umsonst. Ein schöner Familien-Nachmittag, große Kinderaugen, Natur, buntes Treiben - wer könnte je etwas dagegen haben?

Szenenwechsel. „Als NichtBerliner haben sie bis jetzt wenig genug Berliner Fingerspitzengefühl gezeigt, und es verwundert uns nicht, daß Sie als Senator dieser Regierung hoffen, durch 'Brot und Spiele‘ das Volk einzulullen“, so beginnt ein Brief der Bürgerinitiative (BI) „Rettet die Mariendorfer Feldmark“, der an Dr. Hassemer, den Senator für kulturelle Angelegenheiten, gerichtet ist. Die BI will das Drachenfest verhindern. In dem Schreiben, datiert vom 20. Juni '88, heißt es weiter: „Wir bitten Sie, im Namen der vielen Erholungssuchenden und der in Tempelhof sehr gequälten Natur, suchen Sie sich für das Fest einen anderen Platz aus! Der Flughafen Tempelhof bietet sich doch sehr an!“

Auch der Landesbeauftragte für Naturschutz und Landschaftspflege schlug Alarm. Schließlich handelt es sich bei dem Freizeitpark um eine geschützte Grünanlage, eine Brutstätte verschiedener Vogelarten. Doch es half alles nichts. Das zuständige Bezirksamt Tempelhof genehmigte. Für Baustadtrat Krueger handelt es sich bei dem Berg um eine „Baustelle, an der noch modelliert“ werde. Auch die Terminplanung, so Krueger, habe eine wichtige Rolle gespielt. Im Herbst würde das Brutverhalten der Vögel nicht gestört werden. Auf die Anregung, das Festival der Plastikflieger auf dem Buga-Gelände zu inszenieren, ging das Bezirksamt gar nicht erst ein...

So blieb den Naturfreunden keine andere Wahl. Der Bund Deutscher Vogelschützer zog vor Gericht. Per Einstweiliger Verfügung sollte die „Modesport-Torheit“ verhindert werde. Ohne Erfolg. Der Bescheid wurde abgelehnt.

In welchem Maße die Natur Schaden nahm, konnte bisher nicht festgestellt werden. Doch eins ist sicher: am Samstag konnte nicht verhindert werden, daß sich Hunderte Schaulustige den Weg zu den Drachen durch markiertes und mit einer Leine abgesperrtes Terrain ebneten. Um dem zuvorzukommen, hätten eigentlich Ordner zur Stelle sein müssen.

Holger Schacht

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