: Verloren - im Wust der gesetzlichen Bestimmungen
■ Jugoslawin soll abgeschoben werden, nachdem sie elf Jahre lang in Berlin gelebt hat / Schwangerschaft verlängerte den nur „vorübergehend“ erlaubten Auslandsaufenthalt / „Ich wußte nichts von dieser Bestimmung“
Daß nicht einmal Immigranten, die seit Jahrzehnten in Berlin gelebt haben, vor Abschiebungen gefeit sind, muß die heute 27 Jahre alt gewordene Jugoslawin Refika O. erfahren. Weil sie ihre Schwangerschaft in Jugoslawien ausgetragen und sich damit nicht „nur vorübergehend“ im Ausland aufgehalten hat, weigert sich die Ausländerpolizei, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern - obwohl Refika seit 1973 in Berlin lebt.
Als 12jährige kam sie mit ihren vier Geschwistern aus Bosnien zu ihren Eltern nach Berlin. Auch jetzt noch lebt und arbeitet ihre gesamte Familie hier. 1984 jedoch, Refika hatte inzwischen einen jugoslawischen Mann geheiratet, der durch sie eine Aufenthaltserlaubnis bekam, fuhr sie in den Urlaub nach Jugoslawien. Zu diesem Zeitpunkt war sie zum dritten Mal schwanger.
Aus dem ursprünglich für vier Wochen geplanten Aufenthalt wurden - für Refika jetzt verhängnisvolle - anderthalb Jahre. Unmittelbar nach der Ankunft wurde sie krank. Um die Schwangerschaft nicht zu gefährden, mußte sie von da an bis zur Geburt im Bett bleiben. Über ihren Aufenthaltsstatus machte sie sich keine Sorgen. Immerhin war sie im Besitz einer bis April 1986 geltenden Aufenthaltserlaubnis. Aber auch nach der Geburt konnte sie nicht sofort nach Berlin zurückkehren. Ihr Kind war mit einem Augenfehler zur Welt gekommen und mußte behandelt werden.
Im Januar 1986 nach Berlin zurückgekommen, erfuhr sie, daß ihre Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verlängert werden sollte. Begründung: Sie hätte sich nicht nur „vorübergehend“ in Jugoslawien aufgehalten und wäre darüber hinaus ohne den gesetzlich verlangten Sichtvermerk wieder eingereist. Refika unterließ keinen Versuch, doch noch eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Beim zuständigen Arbeitsamt bat sie um eine neue Arbeitserlaubnis. „Aber man schickte mich zur Ausländerpolizei mit dem Hinweis, die Arbeitserlaubnis nur nach dem Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis verlängern zu können.“ Die wiederum verwiesen sie nach Zagreb. Dort sollte Refika vor dem deutschen Konsulat einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen und eine Bescheinigung vorlegen, daß eine Firma in Berlin sie beschäftigen wolle. Nicht wissend, daß dieser Weg grundsätzlich nicht zum Erfolg führt, suchte und fand sie in der Tat eine Firma, bei der sie arbeiten konnte, und fuhr nach Zagreb. „Sechs Monate wartete ich auf eine Entscheidung. Dann kam die Ablehnung.“ Daraufhin fuhr sie wieder - diesmal als Touristin - nach Berlin. Jetzt wandte sie sich an die Ausländerbeauftragte John. Wieder ohne Erfolg. „Wenn schon Frau John mir nicht helfen kann, wer dann?“
Der Rechtsweg ist inzwischen erschöpft. In einem Brief an den Petitionsausschuß schrieb sie: „Im Wust der gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen bin ich irgendwie verloren gegangen.“ Was sie im Falle einer Abschiebung in Jugoslawien machen soll, weiß sie nicht. „Ich habe dort weder Familie, noch Arbeit, noch eine Wohnung. Ich weiß nicht, wie ich mich und meine drei Töchter dort durchbringen soll.“ Über ihr Leben in Berlin sagt sie: „Ich habe hier die intensivsten Jahre meines Lebens verbracht. Das ist die Gesellschaft, in der ich mich zu Hause fühle.“
E.K.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen