piwik no script img

Die laufende Legende als Randfigur

In der Leichtathletik gibt es kein Gewohnheitsrecht: Edwin Moses wird über 400 Meter Hürden nur Dritter und muß den Platz im Zentrum räumen / Die Alten blieben diesmal noch unter sich  ■  Aus Seoul Herr Thömmes

Als Edwin Moses am Sonntag nach der Siegerehrung zur Pressekonferenz kommt und auf dem Podium wie selbstverständlich den Platz in der Mitte einnimmt, wird er von einem Ordner zur Seite dirigiert. In der Mitte sitzt der Beste, und Moses war über so viele Jahre der dominierende Läufer über 400 m Hürden, daß er der Zurechtweisung des „Press Officer“ fast irritiert Folge leistet.

Vor dem Lauf waren die einzelnen Athleten vom Stadionsprecher mit ihren Namen vorgestellt worden, und nur für den Mann auf der Bahn 3 nimmt er sich etwas mehr Zeit: Olympiasieger 1976 und '84, Weltmeister 1983 und '87, Weltrekordler in 47,02 Sekunden. Moses reckt beide Arme in die Höhe, als das Publikum zu jubeln beginnt, so, wie er es immer getan hat: Die Pose des Stars. Keiner konnte ihm etwas anhaben, und für die Konkurrenz muß es deprimierend gewesen sein, wie er seine Erfolgsserie verlängerte.

Der 26.8.1977 wurde zu einem historischen Datum. Damals ließ Harald Schmid in Berlin Edwin Moses hinter sich, und 9 Jahre, 9 Monate und 22 Tage sollte das keinem anderen mehr gelingen. 122 Hürdenrennen - davon 106 Finalläufe passierte Moses als Erster die Ziellinie, bis am 4. Juni vergangenen Jahres Danny Harris kam und in Madrid die Überraschung schaffte. Harris war zehn Jahre jünger als Moses, dessen große Widersacher in seinem Alter waren, und wenige Wochen vor der Weltmeisterschaft in Rom schien die Zeit für Moses‘ Gegner günstig wie nie zuvor. War er wie andere US-Sportler des Geldes wegen zu viele Rennen gelaufen und deshalb außer Form geraten?

Rom brachte ein grandioses Finale, und Moses, der im Eiltempo davongelaufen war, rettete ganze zwei Hundertstel Sekunden seines Vorsprungs ins Ziel. Vor Harris und dem zeitgleichen Schmid. Das sei, so vermuteten die Fachleute, möglicherweise der letzte Streich des 33jährigen gewesen. Fortan würden die 400 Meter Hürden den Jüngeren gehören. Nicht nur Harris, auch Kevin Young (21) stand bereit.

Doch in Seoul verteilten wieder einmal die Alten die Medaillen unter sich: Phillips (29), Dia Ba (29), Moses (33). Nur die Reihenfolge war nicht so, wie Edwin Moses sich das vorgestellt hatte. Er wollte seinen Rekorden einen weiteren hinzufügen und als Erster auf derselben Laufstrecke zum dritten Mal Gold einheimsen.

Jetzt aber sitzt dort vorn auf dem Platz in der Mitte Andre Phillips. Die Zeit von 47,19 Sekunden berechtigt ihn dazu (nur Moses hat die zehn Hürden viermal schneller bewältigt, doch das liegt bereits fünf Jahre zurück). Der Abstand zwischen den beiden war deutlich, und es war schließlich Dia Ba, der sich auf den letzten Metern noch an den Gewinner heranschob.

Es scheint, als sei das Geschehene noch gar nicht in Phillips‘ Bewußtsein gedrungen. „Ich habe noch nie gegen ihn gewonnen“, sagt er, „seit 1979 laufe ich diesem Mann hinterher.“ Und im Rennen hat er auf ihn gewartet: „Zwischen der sechsten und siebten Hürde mußte Ed doch kommen, nach der achten sah ich immer noch niemanden.“ Dann ist er einfach weitergerannt.

Es klingt fast wie auf einer Abschiedsfeier, als sich die drei Medaillengewinner gegenseitig Komplimente machen. Den einen (Moses) hat über all die Jahre nur der Druck der anderen motivieren können, und Phillips und Dia Ba liefen, weil da einer war, den es zu schlagen galt. Dieser Wunsch trieb auch Harald Schmid, doch als es jetzt einmal so weit war, mußte er sich mit dem 7. Platz bescheiden.

Es ist bezeichnend, daß auch er sich bei seiner Bilanz auf Edwin Moses bezieht. Wie sonst könnte er „mit dem Ausgang des Rennens zufrieden sein“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen