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Die rasenden Viehzüchter aus Kenia

Kenias Großfamilien nutzen die Laufbegabung ihres Nachwuchses zunehmend als Einkommensquelle  ■  FLIPS & FLOPS

Aus Kenia rollt eine unaufhörlich wachsende „schwarze Welle“ auf die Leichtathletik zu, in der die Hoffnungen der Sportler aus anderen Ländern immer häufiger zu ertrinken drohen. Gestern gab es Gold für Paul Ereng über 800 Meter und Bronze für Kimeli Kipkemboy im 10.000 Meter-Lauf, weitere kenianische Streiche sind zu erwarten.

Der Aufstieg der Kenianer begann schon vor 20 Jahren mit zehn Medaillen bei den Olympischen Spielen in Mexiko, das Rezept für den Weg nach oben mutet - angesichts des geballten Einsatzes von Wissenschaft, Technologie und Doping in den zivilisierten Ländern - geradezu anarchisch an. Nationalstolz, ethnische Herkunft, allgemeiner Lebensstil und vor allem die Chance, in einer Woche mehr als das Jahreseinkommen des statistischen Durchschnitts-Mitbürgers zu verdienen: Das sind die Motoren, die Kenias Sportler immer schneller laufen lassen.

Die meisten Stars gehören dem Stamm der Kalenjin an, der mit 2,5 Millionen Mitgliedern zu den kleinsten ethnischen Gruppen im Land zählt, mit Daniel Arap Moi aber auch den Staatspräsidenten stellt. Der typische Kalenjin lebt in einer Strohhütte, ist Viehzüchter, treibt seine Herde über die gebirgigen Weiden der Rifttal-Hochebene und ernährt sich von Milch, Ziegenfleisch und Blut. Seine Kinder, nicht selten zehn und mehr, legen den Weg zur Schule laufend zurück, Entfernungen von zehn Kilometern sind dabei normal. Entpuppt sich ein Kind als besonders laufbegabt, setzt die Familie alles daran, das Talent zu fördern. Das gilt neuerdings auch für Mädchen, deren Teilnahme an Sportveranstaltungen noch bis vor wenigen Jahren undenkbar war. Die Formel „Gold gleich Geld“ hat sich überall herumgesprochen in einer Gesellschaft, in der umgerechnet 40 Mark das durchschnittliche Monatseinkommen ausmachen.

Der Anreiz des Geldes ist angesichts der Lebensweise im Verbund von Großfamilien, die durchaus 50 Personen umfassen können, von besonderer Bedeutung. In jedem Lauftalent wird der potentielle Ernährer der Zukunft gesehen, der eines Tages, mit Rekorden und Medaillen geschmückt, in die Heimat zurückkehrt. Und mit Dollars, um die Herden zu vergrößern und der Großfamilie ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Darum vor allem geht es ihnen, auch bei der Jagd auf olympisches Edelmetall in Seoul. Auf allen Strecken von 800 m bis zum Marathon schickte Kenia potentielle Olympia-Sieger nach Fernost, und das Ende der „schwarzen Welle“ ist nicht abzusehen.

Hezekiah Wepukhulu

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