piwik no script img

Bronze statt Unsterblichkeit

Der marokkanische Wunderläufer Said Aouita wird über 800 Meter nur Dritter  ■  Aus Seoul Herr Thömmes

Der Coup, den Said Aouita vorhatte, war einmalig, und sein Gelingen hätte ihn endgültig in die Reihe der Unvergessenen gestellt. Was kann einen bewegen, sich auf dieses Abenteuer einzulassen? Über 5.000 Meter wäre er doch kaum zu bezwingen gewesen, zu souverän dominierte er in den vergangenen Jahren diese Strecke. 1987 Weltmeister in Rom und der Einzige, der jemals unter dreizehn Minuten blieb.

Die Überraschung war groß, als bekannt wurde, Aouita wolle in Seoul 800 und 1.500 Meter laufen, doch der Marokkaner ließ keinen Zweifel, daß ihn gerade das Neue reizt: „Die 5.000 Meter bringen mir keine Befriedigung mehr, es gibt nichts, was ich dort noch versuchen könnte.“ Einen olympischen Doppelsieg aber in den beiden Mittelstrecken, so etwas war zuletzt dem Neuseeländer Peter Snell gelungen 1964.

Von denen, die Aouitas Ansinnen verhindern wollten, war Steve Cram schon gar nicht dabei; er hatte den Vorlauf verbummelt. Blieben Peter Elliot (England), der WM-Vierte, und Joaquim Cruz, der Olympiasieger von Los Angeles. Kannst du das zulassen, daß ein 5.000 Meter-Läufer die 800 Meter gewinnt, wurde der gefragt. „Das wird nicht passieren“, gab Cruz zur Antwort.

Und lief los, als wolle er Aouita frühzeitig die Luft nehmen. Die Hälfte der Strecke hinkte Aouita hinterher, dann lief er zu dem Brasilianer auf. „Vergeßt nicht“, hatte er gewarnt, „ich kann 46,9 auf 400 Meter bringen.“ Er packte Cruz nicht mehr, doch der, den prominenten Kontrahenten im Rücken, mußte einen anderen ziehen lassen. Keiner hatte Paul Ereng auf der Rechnung; zu jung, zu unerfahren, so wurde er eingeschätzt. Und doch lief er ganz locker ins Ziel, während die anderen sichtlich zu kämpfen hatten.

So blieben die 800 Meter doch in den Händen eines kenianischen Läufers, obgleich Billy Konchellah, der überragende Mann auf dieser Strecke 1987, seiner Asthmakrankheit Tribut zollen mußte. Ein Zwanzigjähriger, der in dieser Saison zum erstenmal von den 200 Metern auf die längere Distanz gewechselt war, warf alle Spekulationen über den Haufen.

Auch einem anderen großen Namen blieb ein Ziel erhalten: Carl Lewis holte sich zwar ungefährdet Gold, doch der Mythos von Bob Beamons 8,90 Meter bleibt bestehen. Zweiter wurde Mike Powell; Bronze ging an Larry Myricks.

Das war wie ein schelmisches Blinzeln des Schicksals. Einen Rang hinter sich ließ er den Italiener Evangelisti, der auf Grund eines Meßbetrugs bei der Weltmeisterschaft in Italien noch mit Bronze gekürt worden war. Erst später, als das Fernsehen aufdeckte, daß ein Kampfrichter schlicht einen halben Meter dazugerechnet hatte, bekam Myricks seine Medaille nachgeliefert. Diesmal durfte er sie gleich mit nach Hause nehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen