: Die Zeit verschluckt sich
■ „Zeit„gemäßes: WiKi Kirchgässner zerreißt sie, Wolfgang Schmitz macht ein zerbröckelndes Labyrinth draus
Zeit - ein Wort, kurz und knapp und andernorts in Kombinationen wie zeitlos, Zeitvergleich gerne für Ausstellungstitel variiert. Auch der Bremer Künstler WiKi Kirchgässner jongliert gerne mit den knappen vier Buchstaben, er nutzt sie jedoch pur, ohne Anhängsel. Seine Arbeiten sind ganz zeitgemäß zum Kunstfrühling in bei „Lysistrata“ zu sehen.
Seit fünfzehn Jahren fasziniert WiKi der Begriff „Zeit“, schreibt er ihn in schier endloser Aneinanderreihung winzig klein oder reißt ihn groß und breit ins Papier. Selten bleibt das Wort als solches noch lesbar, die Zeit verschluckt sich selbst, löst die Buchstaben auf in lockere Schwingungen, in Kurven und Strichfragmente. Das gemalte Wort ist so veränderlich wie die Zeit selbst. Für „Lysistrata“ hat WiKi mit Bedacht sehr unterschiedliche Arbeiten ausgewählt, um eine Chronologie aber auch einen Vergleich verschiedener Tendenzen innerhalb seines Werkes vorzustellen. Für ihn selbst mag es zur Überprüfung dienlich sein, den BetrachterInnen erschwert es eine differenzierte Auseinandersetzung ebenso wie den Genuß der Feinheiten und Nuancen. Daran ändert auch die unübersehbare malerische Virtuosität wenig, die in sich Intellekt und empfindliches Gespür vereint. Zu den eindringlichsten Fürsprechern der Kunst WiKis machen sich einige kleinformatige Zeichnungen und eine deckenhohe Papierplastik. Aus geknülltem Packpapier riß der Künstler in breiten Buchstaben das Wort Zeit, der letzte Schwung verflochten mit der anschließenden Wortwiederholung. Die Schwere des Papiers läßt die Buchstaben sich biegen und ein lebhaftes Schattenspiel entwickeln. Das geschundene und bedrohte Material kompensiert seine Verletzungen, indem es das Licht und die teilweise Ungebundenheit des Raumes in sich aufnimmt und damit die erlittenen Brüche füllt. Bleibt in dieser Papierplastik das Erlebnis des Raumes noch faßbar und begrenzt, so gestatten die kleinen Zeichnun
gen ein Gefühl der Unendlichkeit, Raum ist darin so relativ wie Zeit. Zarte Schriftfragmente schweben wie Seidenfädchen über dem schwarzen Grund. In ihrem Gespinst mögen Fragen und Zweifel hängen bleiben, nach kurzer Zeit wird sie das Dunkel aufsaugen.
Die zeitliche Dimension ist auch in den Blättern von Wolfgang Schmitz elementarer Bestandteil. Er stellt seine „Passagen“, teilweise ausgehend von dem Text Walter Benjamins, bei „remberti's“ aus, womit die Galerie endlich wieder Qualität präsentiert. Die meist kleinen Formate, besprenkelt mit Notizen und Randbemerkungen, bestechen auch unabhängig von der konkreten Darstellung: Die Tuschen, die Flecken, die dichtgedrängten, einander bedrängenden Kreiden, die flüchtigen Linien, die offenen Flächen und in tiefer Schwärze gebündelten Schraffuren, formulieren schon den Grundton einer gespenstischen Atmosphäre. Die zeichnerischen Mittel konkretisieren sich zu Architekturansichten, zu Mauervorsprüngen, zu umgestürzten Skulpturen, zu Menschenfiguren, die Denkmäler sein können und umgekehrt. Städtepassagen, Durchgänge, Übergänge, in denen Menschen einander begegnen, aneinander vorübergehen und verlassen, zeichnet Schmitz, solche aus dem Bremer Übersee-Museum, der Hillmann-Passage, auch Wandelgänge aus Brüssel und andernorts. Die realen Stadtmotive flüchten in ihre eigenen Schatten, zerbröseln, bis nur noch Gebälk übrigbleibt, Gewesenes der Zukunft gegenübertritt. Menschen tauchen auf und verschwinden Gespenstern gleich. Eine Mädchengestalt, zitiert aus einem Bild des belgischen Malers Balthus, wird zur zähen, unnachgiebig Fragenden, die die BetrachterInnen auffordert, in das Labyrinth der bröckelnden Zeit zu folgen.
Beate Naß
WiKi bei Lysistrata e.V. bis 15.10. Contrescarpe 8, Di und Do 17-19. Wolfgang Schmitz bei „remberti's“ bis 6.10., Rembertistr. 59, Mo-Fr 11-18.30, So 15-17
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen