Samba-Rhythmen und Räumungs-Pogo

Montag abend in der City: IWF und Polizei im „Trommelfeuer“ / 130 Festnahmen, mindestens 14 Verletzte  ■  Aus Berlin Wolfgang Gast

Seit Tagen steht die Berliner Innenstadt im Zeichen der Trommel. Wie schon in den vorangegangenen Nächten trafen sich auch am Montag abend Tausende am Breitscheidplatz und feierten mit Trommeln, Topfdeckeln und allerlei anderem Metallgerät brasilianische Samba-Nächte. Vom „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ geplant und von Berlins obersten Polizisten verboten ist die Aktion „Trommelfeuer“ zum Kristallisationspunkt für den Prostest gegen die IWF- und Weltbanktagung geworden.

Europas Kulturstadt Berlin zeigt derweil stetig steigende Polizeipräsenz. Rund um die Gedächtniskirche waren mehrere hundert Polizisten eingesetzt. Daß Quantität Qualität nicht ersetzen kann, bewiesen die eingesetzten Polizeibeamten. Völlig konzeptlos wurden die so lauten wie friedlichen TrommlerInnen und ihre Freunde wiederholt abgeräumt und die Straße zwischen Gedächtniskirche und Wittenbergplatz leergefegt.

Eine Einkesselung löste die nächste ab - die Polizisten agierten zunehmend aggressiver. Eingesetzt waren auch Sondereinheiten aus Berlin und Bayern. Gegen 21 Uhr prügelte die Berliner Einheit „EX“ Schulter an Schulter mit ihren bayerischen Kollegen die DemonstrantInnen über die ein Meter hohe Absperrung am U-Bahnhof Wittenbergplatz. Gegen 23 Uhr suchten sie in den U-Bahn-Schächten nach KundgebungsteilnehmerInnen. Wiederholt wurden Personen zur Festnahme auf den Boden geworfen, derweil die Schlagstockinhaber auf ihnen knieten. Besitzer von Lärminstrumenten wurden mit gezücktem Schlagstock gezielt auch in die Seitenstraßen verfolgt, geprügelt und festgenommen (ebenso zwei Sanis(!) d.S.).

Am Ende bilanzierte der Polizeibericht 130 Festnahmen, einige kaputte Scheiben und vier beschädigte Autos in der Umgebung des Breitscheidplatzes. Vier Personen wurden nach Polizeiangaben dem Haftrichter vorgeführt. Der Ermittlunsausschuß zählte 14 Verletzte, die meisten mit Verdacht auf Schädelfraktur.

Ausgangspunkt der Kundgebungen am Breitscheidplatz war eine von autonomen Frauengruppen organisierte Versammlung. An die 2.000 Personen verfolgten die Redebeiträge zu Frauen- und Zwangsarbeit im Knast. Als über Lautsprecher vermeldet wurde, daß zwei Personen an einem Hotel in der Nähe festgenommen wurden, weil sie ein Anti-IWF-Transparent entrollt hatten, blockierten die DemonstrantInnen die vierspurige Straße. Bei Räumungsversuchen der Polizei flogen erst Böller, dann vereinzelt Steine. Die Lage beruhigte sich anschließend wieder; die Kundgebung wurde ohne weitere Störungen zum Ende gebracht. Danach formierte sich ein Demonstrationszug, der in Richtung Industrie- und Handelskammer zog. Ein massives Polizeiaufgebot versperrte den Zugang zu den Gebäuden. Die DemonstrantInnen zogen weiter zur „Deutschen Oper“, um dort den vorfahrenden Bankern ein gellendes Pfeifkonzert zu geben. Mit Schlagstockeinsätzen machten die Polizisten dem Protest vor der Oper ein Ende. Der Rückweg führte die IWF-Gegner wiederum zum Breitscheidplatz, wo sie gegen 20.30 Uhr auf die TeilnehmerInnen der verbotenen Aktion „Trommelfeuer“ trafen.

Protest im Flughafen

Trotz massiver Polizeikontrollen fand die Aktion „Bürger beklatschen Bänker“ im Flughafen Berlin-Tegel statt, an der rund 80 IWF-GegnerInnen teilnahmen. Die Protestler hatten sich um acht Uhr mit einem Transparent „Sie organisieren die Armut der Dritten Welt - Schulden streichen sofort“ vor dem Flugsteig eines aus Frankfurt ankommenden Fliegers postiert. Die Passagiere wurden mit Pfeifkonzerten und Buttersäuregerüchen begrüßt und eilten durch ein Polizeispalier Richtung Ausgang. Ob sich unter den Passagieren tatsächlich Teilnehmer des IWF- und Weltbank -Kongresses befanden, war nicht auszumachen.

Kaum waren die letzten von ihnen davongeeilt, wurden die IWF-GegnerInnen von der Polizei aufgefordert, die Halle zu verlassen. Wer der Aufforderung nicht nachkam, wurde unter massiven Handgreiflichkeiten nach draußen befördert.

Vier Personen wurden vorläufig festgenommen. 160 Personen waren überhaupt nicht ins Gebäude gelangt. Sie waren den Beamten aufgrund ihres Outfits ins Auge gestochen und abgewiesen worden, weil sie weder ein Flugticket vorweisen noch einen triftigen Grund für den Aufenthalt im Gebäude nennen konnten.

plu

2.000 gegen Schering

Am Dienstag nachmittag waren es erst 800 und schließlich 2.000 DemonstrantInnen, die sich vor der Zentrale des einzigen Weltkonzerns trafen, der seinen Sitz in West-Berlin hat: der Pharma-Riese Schering. Der ist nämlich nicht nur für Antibabypillen gut, sondern auch, so die Transparente, für das „Mordsgeschäft“ mit Pestiziden, Saatgut - und künftig mit der Gentechnologie. Die aus den U-Bahn-Schächten aufsteigenden Demonstranten wurden wie gehabt gründlich gefilzt und auf ihrem Zug von unbehelmten Polizisten begleitet.

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