: Der „Einzelfall“ Johnson
Wolfgang Peter hätte es eigentlich besser wissen müssen. Der ehemalige Präsident des Gewichtheberbundes (BVDG), in Seoul für Doping-Kontrollen mitverantwortlich, bot vor den Olympischen Spielen trotzdem Wetten an: „1.000 Mark, von den Medaillengewinnern in Seoul wird keiner positiv sein.“ Zwei bulgarische Goldmedaillengewinner hat es nun schon erwischt, dazu zwei weitere Athleten dieser Sportart. Und damit es nicht noch mehr werden, ist der bulgarische Verband mit Sack, Pack und Hebern gleich abgereist, noch bevor die letzten Entscheidungen beendet waren. Auch zwei aus der Disziplin „Moderner Fünfkampf“ stehen bereits auf der Liste der Doping-Sünder.
Bei den Leichtathleten ist die „wissenschaftliche Betreuung“ offenbar besser: Von 135 Proben waren 1987 weltweit nur zwei positiv. Daß auch dort in hohem Maße die Leistungsfähigkeit durch die Einnahme verbotener Mittel erhöht wird, daran gab es für den Präsidenten des Deutschen Leichathletik Verbandes (DLV), Eberhard Munzert, auch ein Jahr nach dem Tod der Siebenkämpferin Birgit Dressel keinen Zweifel. Im April behauptete er, viele Athleten „vertrauen mehr in Pillen und Spritzen. Wenn solche Zustände zur Normalität werden, ist dies nicht mehr mein Sport.“ Mittlerweile ist er zurückgetreten.
Die Sportler selbst geben seiner Vermutung recht. Bei einer Umfrage im Juni 1987 antworteten 80 Prozent der Frauen und 64,3 Prozent der Leichtathletik-Männer: Wir glauben, ohne Doping nicht konkurrenzfähig zu sein. Die US-Trials in Indianapolis im Juli, die Qualifikation für Seoul, ergaben bei drei Prozent aller Athleten positive Dopingbefunde. Der US-Verband benügte sich mit der Mitteilung, alle Athleten hätten versichert, nur der Gesundheit dienliche Mittel genommen zu haben. Weder die Liste der Medikamente noch die der Sportler wurden veröffentlicht; alle fuhren zu Olympia.
Nur gedopt, so glaubten Experten, seien Leistungssteigerungen wie die von Ben Johnson möglich. „Acht Kilo Muskelmasse“ habe der Olympiadritte von Los Angeles seit 1984 draufgepackt, wundert sich der italienische Sprinttrainer Carlos Vittori: „So etwas kann man nicht mit normalen Trainingsmethoden erreichen.“ Der Weltmeister reagierte sauer auf Anspielungen der Konkurrenz: „Lewis glaubt, ich hätte ihn in Rom mit unerlaubten Mitteln geschlagen.“
Für den IOC-Mediziner Robert Dugal gab es am Dienstag keinen Zweifel, daß die Leichtathleten recht routiniert mit den muskelbildenden Anabolika hantierten: „Sie nehmen ganz verschiedene Mittel, machen gezielte Pausen.“ Johnsons Fehler liegt für ihn auf der Hand: „Da hat das Timing nicht gestimmt.“ Auch der prominente Doping-Fahnder Manfred Donike vermutet, „Johnson hat einfach zuviel riskiert“.
Der Grund könnte in einer Verletzung liegen, die sich der Kanadier im Frühjahr am Oberschenkel zuzog. Monatelang behinderte das sein Training, und die vorolympischen Ergebnisse waren nicht, wie sie sein sollten: In Zürich verlor er am 13.8. gegen Carl Lewis und Calvin Smith, Tage später in Köln gegen Smith in einer für ihn indiskutablen Zeit. Das Tingeln durch die europäischen Meetings wurde abgebrochen, zu Hause in Kanada wollten sich Trainer Charly Francis und sein Sprinter in aller Abgeschiedenheit auf Seoul vorbereiten.
Von solchen grundsätzlichen Überlegungen will die kanadische Delegation in Seoul nichts wissen. Johnson und Francis hätten ihre Unschuld beteuert, erzählt NOK-Präsident Roger Jackson. Die Wasserflasche, aus der Ben getrunken habe, sei einige Zeit unbewacht geblieben; unbefugte Dritte hätten sich im Doping-Labor herumgetrieben. „Wir wissen nicht“, gibt sich Mannschaftsarzt Bill Stanish ratlos, „wem wir glauben sollen.“ Und auf die Muskelberge Johnsons angesprochen: „Ben hebt seit dem 17. Lebensjahr Gewichte, deshalb sieht er so aus.“
Sonst war viel von „Bestürzung“ die Rede am diesem Dienstag in Seoul, von „Schmerz, Trauer, Bedauern und Blamage“. Ein direktes Wort über den Athleten Ben Johnson fand von den kanadischen Offiziellen niemand. Nur der Leichtathletik-Boß Dave Lion sinnierte über diese „Katastrophe für den Sport“. Er meinte die finanzielle Unterstützung, die seine Regierung dem Spitzensport nun versagen könnte, und: „Auf die privaten Sponsoren hat das sicher schwere Auswirkungen.“
Die Kommerzialisierung des Sports ist für den brasilianischen Arzt Eduardo de Rose auch ein wichtiger Grund, der Sportler zu Medikamenten greifen läßt. De Rose, in Seoul einer von 15 Doping-Analytikern bei Olympia, hatte schon vor den Spielen geäußert, er erwarte mehr positive Testergebnisse als vor vier Jahren in Los Angeles. Und Johnsons Manager Larry Heidebrecht fiel nach dem Gold-Lauf am Samstag als erstes ein: „Damit hat er sein Einkommen verdoppelt.“
In den Reaktionen auf den Doping-Skandal Ben Johnson wird jetzt vom „Einzelfall“ (Willi Daume, Edwin Moses) gesprochen. Doch die Äußerung der bundesdeutschen Schwimmerin Christiane Pielke läßt auch Möglichkeiten für eine andere Interpretation: „Doping spielt doch in jedem Sport und bei jedem Sportler eine Rolle. Ben Johnson hat sich nur erwischen lassen, und das kann ich nicht verstehen.“
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