: Gottes Segen - grenzenlos?-betr.: Lesbensegnung, taz vom 21.9.88
Betr.: Lesbensegnung,
taz vom 21.9.88
Wenig segensreich erscheinen mir die Alternativen zur Segensverweigerung: Unbeständigkeit und Bindungslosigkeit, Heimlichtuerei und Lebenslüge, Promiskuität und Suchtkrankheiten, letztlich wohl auch Abkehr von der Kirche und Bildung von Sonderkirchen für Homosexuelle.
In einer Verlautbarung des Lutherischen Weltbundes wird beklagt, daß der „Tabu-Bereich Sexualität„ für die Kirche nach wie vor eine gänzlich „unbewältigte Angelegenheit“ sei und daß die immer noch einseitig auf Fortpflanzung beschränkte Sexualethik die Kirche mitschuldig werden läßt „an der Entstehung von homosexuellen Subkulturen“, da sie die Geheimhaltung homosexueller Veranlagung erzwinge.
Bei Lesben und Schwulen könnte die Kirche durch selbstkritisches Schuldeingeständnis, durch angstfreie Bereitschaft zur Versöhnung und zu gleichberechtigtem Zusammenleben an Glaubwürdigkeit nur gewinnen. Wenn allerdings in einer seelsorgerisch so brisanten Frage wie der Integration und des Respektes vor der Würde jahrhundertelang unterdrückter, verfolgter und diskriminierter sexueller Minderheiten zu Lasten der ohnehin an der Kirche leidenden Betroffenen entschieden wird, um den „ökumenischen Frieden zu wahren“ oder vielleicht auch innerkirchliche Spannungen und Austrittsdrohungen Konservativer und Evangelikaler zu vermeiden, so wird in Wirklichkeit unter den von der Kirche verletzten und enttäuschten Lesben und Schwulen eine bislang nicht gewünschte Entwicklung hin zu Sonderkirchen für Homosexuelle vorangetrieben, wie sie seit vielen Jahren in den USA und neuerdings in Hamburg sich etabliert haben.
Schuld daran trüge eine nicht integrationsfähige Kirchengemeinschaft, die so den Glauben an den einen Leib Christi, der Menschen unterschiedlichster Herkunft und Orientierung vereint, fragwürdig macht.
Hier liegt der eigentliche „ökumenische“ Sprengstoff und nicht im Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche, die mit dem Festhalten an scholastischem Naturrechtsdenken und mit der Bewertung der Ehe als Sakrament theologisch und ethisch völlig anders orientiert ist.
Ernst-Werner Kleine, Köln
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