: Nie wieder Streichquartett
■ Margarethe von Trottas „Fürchten und Lieben“
Eine Frau läuft auf ein Feld. Nebel. Ein einsamer Baum. Streichquartett. Später der Satz: „Daß man einen Baum liebt, kann auch eine politische Geste sein.“
Ein altes Haus in einer verlassenen Gegend. Die Farbe blättert malerisch. Ein Mann öffnet ein Fenster. Licht fällt ins Innere. Das Cello setzt ein.
Ein alter Mann spricht mit einer der Schwestern. Er sagt: „... wie Deine Mutter.“ Wieder setzt das Cello ein. Man weiß es schon vorher. „Die Musik ist tot“, sagt später einer, „wie meine Mutter.“ Fürchten und Lieben: ein Lehrstück über den Gebrauch von Filmmusik oder wie man es auf keinen Fall machen darf.
Noch ein Schwestern-Film von Margarethe von Trotta, diesmal international. Mit Fanny Ardant aus Frankreich, Greta Scacchi aus Großbritannien und Valeria Golino aus Italien. Drei schöne Schwestern. Trotta zeigt mit Vorliebe ihre Gesichter, am liebsten im Spiegel. Klassische Großaufnahmen; wenn sie miteinander reden, sieht man immer die, die gerade spricht. Aber die Gesichter sprechen nicht von selbst, dazu wäre Regie nötig. So ist das ungeschminkte Gesicht der Literaturdozentin Fanny nicht geheimnisvoll, sondern nur müde. Zwei Stunden lang müde. Und das Temperament Valerias mit den wilden Locken ist zu nichts mehr nütze als zum Beweis der Tatsache, daß sie die jüngste im Bunde ist. Aber das wissen wir auch so, der Film beginnt mit ihrem 18. Geburtstag.
Greta Scacchi hat einen Ehemann, einen sehr lustigen. Er ist Fernseh-Komiker und spart auch am häuslichen Wohnzimmertisch nicht mit Gags, er ist wirklich sehr amüsant. Nur Greta findet ihn nicht zum Lachen. Warum, erfahren wir nicht. Daß es Trotta gelingt, einer so aufregenden Schauspielerin in eine so brav-depressive Ehefrau zu verwandeln und ihr noch das letzte bißchen Erotik auszutreiben, ist schon fast wieder eine Regieleistung.
Greta schreibt sogar heimlich Gedichte. Eines liest sie vor, ein Kleeblatt kommt drin vor und eine Biene und ein Gedanke. Aber es ist nicht zum Lachen, es ist ein ernster Film. Ein deutscher. Weshalb uns das Waldsterben, der Atomkrieg, die Gentechnologie und die Roten Brigaden (weil er in Italien spielt, kann es nicht die RAF sein) nicht erspart bleiben.
Trotta scheut die Wiederholung nicht. Den gewichtigen Kurz -Dialog „Hast Du Angst vorm Tod?“ - „Ich glaube, ich habe eher Angst vorm Leben“ präsentiert sie uns gleich zweimal. Wir könnten ihn ja beim ersten Mal überhört haben.
Manchmal kommen Gefühle auf. Einmal schläft Greta Scacchi mit ihrem Liebhaber. Die Leidenschaft sieht man daran, daß sie ihm das Hemd aufknöpft und er ihr den Rock hochschiebt. Die Nylons behält sie an. Im deutschen Film vögelt man neuerdings angezogen.
Einmal streiten sich die Schwestern, in einem Kloster. Fanny Ardant wird laut, dann geht sie ein paar Schritte weg.
Einmal haben sie ihren verrückten Abend, sprühen Graffitis und tanzen in einer Bar. Es wirkt aber nicht ausgelassen, sondern nur ausgedacht. Das Drehbuch hat Dacia Maraini geschrieben.
Weinen muß auch jede mal. Ich bin sicher, Greta Scacchi könnte die Verzweiflung so spielen, daß man sie ihr glaubt.
Natürlich ist es ein schöner Film. Mit edlem Mobiliar, erlesenen Kleidern und blauer Abendstimmung am Flußufer. Zwar ist das Leben schwer, ach so schwer, aber gepflegt muß es sein. Und Schaubühnen-Peter Simonischek (der Mann, in den sich die drei nacheinander verlieben) ist geradezu die Verkörperung der gepflegten Langeweile. Herzen können da gar nicht zu Bruch gehen. Aber es geht ja nicht um Herzensangelegenheiten, nur um das, was von Anfang an feststand: wie schön es ist, Schwester zu sein.
Christiane Peitz
Margarethe von Trotta: Fürchten und Lieben, Drehbuch: Dacia Maraini, frei nach Tschechows „Drei Schwestern“, mit Ardant, Scacchi, Golino, Simonischek, Italien-BRD 1988, 100Min.
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