„IWF und Weltbank sind Drogenhändler“

■ Die Inderin Vandama Shiva über die Faszination westlicher Kulturgüter in Indien, die Kolonialisierung innerhalb des Landes und die Ausbeutung der Natur

I N T E R V I E W

Sie hielt die Ansprache, die am meisten Applaus erhielt. Vandana Shiva, Ökologin und Feministin aus dem Norden Indiens, engagierte sich mit einer gekonnten Mischung aus Empathie und Pathos: auf dem „Peoples Permanent Tribunal“ der Lelio-Basso-Stiftung, auf dem IWF und Weltbank symbolisch der Prozeß gemacht wird, trat sie als Zeugin auf für die „Natur“. Während ihre VorrednerInnen, die für einzelne Länder gesprochen hatten, mit einer Anhäufung von Zahlen, Daten und Einlassungen über die allgemeine Misere im Publikum zum Teil diskret unterdrücktes Gähnen auslösten, begeisterte sie mit Eloquenz und Schlagfertigkeit.

Die Weltbank finanziere die Zerstörung der Natur, so ihr Vorwurf, indem sie aus deren Vielfalt die pure Einfalt mache. Viele Regionen, in denen die „grüne Revolution“ durchgeführt worden sei, hätten sich binnen zehn Jahren zu Wüstengebieten „entwickelt“. Der Grundwasserspiegel sei drastisch gesunken, durch Unkrautvernichtungsmittel sei der Boden vergiftet. Der Frage des Ökonomen Robert Triffin (der auf dem Tribunal die undankbare Aufgabe hat, IWF und Weltbank zu verteidigen), ob sie meine, die Weltbank habe absichtlich Böden vergiftet, begegnete sie offensiv: Zum Teil sei dies durchaus beabsichtigt gewesen. „Sie wollten mehr Geld, auf die Proteste der Bevölkerung wurde nicht gehört, sie wußten, daß sie mit ihren Programmen den Boden ausbeuten und vergiften.“

taz: Sind IWF und Weltbank allein schuld an Ausbeutung und Zerstörung der Natur? Die Menschen in Indien sind doch scharf auf westliche Konsumgüter, sie sind fasziniert vom westlichen Fortschritt und wollen all das auch haben.

Vandana Shiva: IWF und Weltbank sind dafür verantwortlich, daß die Menschen mit System dazu gebracht werden, zu vergessen, wie man in Übereinstimmung mit der Natur lebt. Sie sind verantwortlich für diesen Prozeß, den sie „Entwicklung“ nennen. Die Menschen in Indien haben früher ökologisch gelebt. Nun sind sie auch zu Konsumenten westlicher Güter geworden. Ich sehe sie als Süchtige, und IWF und Weltbank sind die Drogenhändler, die ihre Abhängigkeit schufen, um davon zu profitieren.

Angenommen, Indien würden alle Schulden erlassen und würde konsequent keine Kredite bei der Weltbank aufnehmen. Brächte das die Wende zu einer ökologischen Politik?

Die Natur würde etwas weniger ausgebeutet werden. Die ständig steigende Tendenz der Zerstörung könnte vermutlich angehalten werden, denn der Druck, zu exportieren und immer mehr aus dem Land herauszuholen, fiele weg. Es gäbe mehr Raum, das zu produzieren, was die Menschen brauchen, und das ist nicht so unökologisch wie der Export.

Aber in Indien haben wir große Industriekomplexe, die Ausbeutung der Natur ginge weiter. Zum Beispiel exportieren wir keine Hölzer oder sonstige Produkte des Waldes, aber die großen Papiermühlen in den Städten haben einen großen Anteil am Niedergang unserer Wälder. Es ist das Problem der Kolonialisierung innerhalb unseres Landes. Die ländlichen Regionen sind die Kolonien der Städte und des industriellen Komplexes. Wenn es keinen Bewußtseinswandel gibt, darüber, was ein gutes Leben und Lebensstil ist, wenn wir uns immer nur messen am Konsumstandard im Westen, können wir unser Land auch ohne ausländische Hilfe zerstören.

Fordern Sie das Ende der Industrialisierung?

Über kurz oder lang müssen Industrien, die sehr rohstoffintensiv sind, abgeschafft werden. Schon heute müssen in Indien Fabriken wegen Wassermangel geschlossen werden - Wassermangel, der durch den hohen Verbrauch der Industrie an Wasser und Elekrizität entstanden ist. Der entscheidene Punkt ist, ob wir wir eine Umkehr noch rechtzeitig abzuschaffen oder ob es dann zu spät ist.

Die Linke in Westeuropa fordert zwar Schuldenerlaß für die Länder der Dritten Welt, spricht jedoch kaum über die Konsequenzen für den Westen selbst. Wie würden diese nach Ihrer Meinung sein?

Zur Zeit fließen die größeren Kapitalströme von Süd nach Nord. Ein großer Teil dieses Kapitals finanziert den Überfluß in den westlichen Ländern. Falls dieser Kapitalfluß stoppt, wird der Lebensstandard sinken. Ein Schuldenerlaß wird nicht nur die Armen im Süden davor schützen, noch ärmer zu werden, sondern wird im Norden auch eine Reduzierung des Konsumstandards erzwingen. Die meisten, die heute eine gerechte Weltwirtschaftsordnung wollen, sind sich dessen nicht bewußt. Die Leute im Westen sind auf ihren Lebensstandard krankhaft fixiert. Selbst wenn sie ökologische Überzeugungen vertreten, sagen sie „ohne mein eigenes Auto geht es nicht“. Aber es wird gehen müssen.

Interview: Gunhild Schöller