: Presseprotest gegen Berliner Polizei
Berichterstatter fordern Intervention der Westalliierten zum Schutz der Pressefreiheit / Weit über 200 Festnahmen bei den Anti-IWF-Aktionen / 59jähriger erlag am Rande einer Demonstration einem Kollaps ■ Von Georgia Tornow
Berlin (taz) - Die Journalisten, die in Berlin über die Treffen von IWF, Weltbank und deren GegnerInnen berichten, haben genug vom Polizeiknüppel. Gegen die Behinderung ihrer Arbeit und die Übergriffe durch die Polizei wehrten sich zwei Dutzend Medienleute gestern mit einer öffentlichen Erklärung - an das Abgeordnetenhaus von Berlin und die Parlamente der Westalliierten. Am Vortag hatte die Pressefreiheit bei den Versuchen der Berliner Polizei, im Protest gegen IWF und Weltbank Herr der Lage zu bleiben, eine herbe Niederlage erlitten. Am Rande von Aktionen in der City war wie schon zuvor die Arbeit der Presseleute massiv behindert worden.
Der Berliner Ermittlungsausschuß meldete bis gestern 270 vorläufige Festnahmen. Die meisten von den betroffenen IWF -GegnerInnen wurden umgehend wieder auf freien Fuß gesetzt. Bis zum Mittag zählte die Polizei 213 Festgenommene. Beklemmung hatte am Dienstag die Nachricht vom Tod eines 59jährigen Mannes am Rande einer Demonstra Fortsetzung Seite 2
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tion in Berlin-Wedding ausgelöst. Der Mann war nach offiziellen Berichten schwer herz- und zuckerkrank und hatte sich Augenzeugen zufolge sehr über eingeschlagene Scheiben aufgeregt. Er starb offenbar an einem Kollaps.
In der Erklärung der Presseleute vom Mittwoch wird neben der sofortigen Beendigung der Polizei-Übergriffe eine Untersuchung der Vorfälle durch das Abgeordnetenhaus von Berlin und den US-Kongreß verlangt - die pressefeindlichen Aktionen der Polizei fanden im US-Sektor von Restberlin statt. Außerdem fordern die JournalistInnen die Einleitung strafrechtlicher und disziplinarischer Maßnahmen gegen die Polizisten vor Ort und ihre übergeordneten Stellen.
Zwei Fernsehrteams - das eine im Auftrag des ZDF, das andere für den WDR unterwegs - machten mit dem Schlagstock Bekanntschaft, als sie den Einsatz der Mannschaften im Kampfanzug verfolgten. Ihnen wurde vorgeworfen, die Arbeit der Polizei im Einsatz zu behindern. Hilfsweise behauptete die Polizei sogar, Blitzen sei Körperverletzung.
Nach diesen Vorfällen bildete sich auf dem gerade wieder einmal halb-geräumten Platz vor der Gedächtniskirche eine erbitterte Journalistengruppe. Die BerichterstatterInnen, unter ihnen Vertreter von Nachrichtenagenturen wie 'ap‘ und 'Reuter‘, beschlossen, dem Einsatzleiter ihren Protest vorzutragen. Nachdem sie an verschiedenen Stellen eines größeren Polizeikessels versucht hatten, bis zu einem Einsatzleiter vorgelassen zu werden, wurden sie zuletzt selber eingekesselt: Etwa 25 bis 30 JournalistInnen wurden von Polizisten im Kampfanzug umringt und nicht vom Fleck gelassen. Per Megaphon kam die Aufforderung eines Polizisten an die Pressevertreter: „Ihre Versammlung ist aufgelöst. Bitte begeben Sie sich zum Wittenbergplatz. Sonst werden Sie weggeräumt.“ Schließlich wurden die Berichterstatter in Dreiergruppen aus ihrem Klein-Kessel entlassen. Der kurz darauf auftauchende Einsatzleiter wollte wegen Überbeschäftigung keine Stellung nehmen.
Erste Reaktionen zeigen, daß die Protesterklärung aufmerksam aufgenommen wird.
Das Mitglied des US-Kongresses Gerry Studds sagte der taz: „Ich bin tief besorgt und habe dem Außenministerium dies bereits mitgeteilt.“ Neben Anfragen in- und ausländischer Medien erhielt die taz auch einen Anruf aus dem Haus von Innensenator Kewenig. Sein Pressesprecher Birkenbeul wollte die Namen der Unterzeichner der Protesterklärung wissen. Man wolle mit jedem Einzelnen den Sachverhalt der Beschwerde aufklären.
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