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Spritzen im Knast möglich

■ ...aber politisch noch nicht so ganz gewollt / In einem "Meinungsbild" sprachen sich 11:3 sozialdemokratische JuristInnen für Spritzenvergabe an drogensüchtige Häftlinge aus

Paradoxerweise wurde im Kreis der Rechts-AuslegerInnen über die Rechtslage am wenigsten gesprochen: Denn ob Einweg -Spritzen im Knast ausgegeben werden dürfen, das ist eine politische Frage. Über die „tatsächlichen und rechtlichen Probleme einer Drogenpolitik im Strafvollzug“ wollte sich am Dienstag abend die Bremer Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer JuristInnen (ASJ) schlau machen und hielten einen langen Abend engagiert aus. „Rechtlich gesehen sind die Meinungen da fifty-fifty“, referierte Anwalt Rudolf Monnerjahn den Erkenntnisstand der Bremer Generalstaatsanwaltschaft, „daß Verkauf und Erwerb von Spritzen in Apotheken zulässig ist, aber die Verfügbarkeit im Knast ein strafbares „Verleiten“ sein soll, kann ich als Nicht-Strafrechtler nicht nachvollziehen.“ Noch im Frühjahr hatte sich Justizsenator Kröning auf ASJ-Bedenken berufen.

Engagiert plädierten der Oslebshauser Knastleiter Erhard Hoffmann und auch der Aids-Spezialist des HGA, Hubertus v. Schwarzkopf, dafür, den Abhängigen im Knast sterile Spritzen zur Verfügung zu stellen. Hoffmann berichtete „von einer ganzen Generation drogenabhängiger Inhaftierter, die inzwischen ausgestorben ist-die Gefährdung der Insassen ist bei uns sehr stark!“ Und v. Schwarzkopf stellte klar: „Wir haben ganz sicher HIV-Neuinfektionen in der Vollzugsanstalt durch den Zwang, die Spritzen gemeinsam zu benutzen.“

Schätzungsweise rund 1/3 der Drogenabhängigen sind HIV -infiziert. Doch die „glückliche Politik“ (Hoffmann) in Bremen, nur freiwillige und anonyme Tests durchzuführen, schönt andererseits die Aids-Statistik: Gerade acht HIV -Infizierte werden ofiziell in Oslebs geführt, in Wirklichkeit sind es aber „mindestens 30“, schätzt Hoffmann für seine Anstalt. Was als Rückgang der Infizierten-Zahlen aussieht, sei nur dem Test-Rückgang zu zuzurechnen. Denn wer auf der Knast-Drogenliste geführt wird, hat mit Zellendurchsuchungen, Urlaubssperre, Urinproben und Haftverschärfung zu rechnen - das senkt

die Rate derer, die sich HIV-testen lassen, merklich: Nur noch die Hälfte der früher 300 jährlichen Tests inzwischen noch durchgeführt.

Die rechtliche Frage war auch für Justiz-Referent Hartmut Krieg nicht das Entscheidende: Er hielt Spritzenvergabe „im Moment persönlich für problematisch“ und wollte auf „verschiedene kleine Schritte“, auf den gerade bewilligten Aids-Modellversuch der nächsten Jahre und auf die „Strukturveränderung“ setzen, die mit der Neuorganisation des Vollzugswesens der Bundesländer ansteht.

Dem Rechtsanwalt Waldemar Klischies platzte der Kragen: „Ich bin die Spritzen-Debatte leid! Seit Jahren wird nur geredet, das ist ausgestanden und überfällig!“ Wirklich strittig und unklar sei doch nur noch, ob man die Ersatzdroge Methadon im Knast ausgeben könne und wolle.

Wie immer schieden sich bei Methadon die Geister, hatten Be

fürworter und Gegner konträre „sichere Zahlen“ und „persönliche Erfahrungen“ zu bieten. Hoffmann bot seine Anstalt für ein Methadon-Modellprojekt an („Da kann amn besser als draußen betreuen und kontrollieren“), der Drogenbeauftragte Thies Pörksen konnte in Methadon keine Hoffnung, sondern nur „eine weitere Droge“ sehen. V. Schwarzkopf warnte vor einem Methadon-Programm „als kostenneutrale Maßnahme“. Nach endlosem Hin und Her kriegten die JuristInnen ein „Meinungsbild“ hin: Von 18 Stimmberechtigten waren 11:3 für Spritzenvergabe; zu Methadon war im allgemeinen Durcheinander nur noch ein unentschiedenes Bild hinzukriegen. Vor der Tür standen nachher HGA-Chef Jochen Zenker und Drogenbeauftragter Pörksen zusammen und lachten: „Die letzten drei Methadon -Wellen haben wir durch Aussitzen hinter uns gebracht, jetzt wird es aber schwieriger! “ S.P

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