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FALSCHES GEWICHT

■ Zeitschleife II am Werner-Voss-Damm 54

Die Künstler, die aus den Galerien auszogen, um alltägliche Orte in der Stadt zu besetzen oder ihre Arbeit als 'work in progress‘ am Ort der Entstehung zu zeigen, entdeckten bald ihre Liebe zu geschichtsträchtigen und atmosphärisch spannenden Punkten der Stadt. An Wänden und Böden die Spuren des Gewordenen zu sichern und die Anzeichen des Verfalls selbst von der historischen Bedeutung und dem Vergessen -Wollen erzählen zu lassen, wurde zu einer schwierigen Kunst, die dem Künstler Disziplin, Sensibilität und die Tugend der Zurückhaltung abverlangte. Aber die Zauberformel von der Auseinandersetzung mit dem Ort kann auch zum modischen Schlagwort werden, das bloß noch die Funktion hat, die Produkte der Künstler mit Bedeutung aufzuladen und ihnen Gewicht zu verleihen.

Unter diesem Verdacht steht bei mir die Ausstellung „Zeit -schleife II“ von Gabriele Heidecker und Marosch Schröder am Werner-Voss-Damm 54. Das Gebäude ist Teil eines Komplexes ehemaliger Kasernen, in denen seit 1933 die SA ein sogenanntes schwarzes oder wildes Konzentrationslager betrieb. Diesem geschichtlichen Hintergrund soll in der Ausstellung eine Installation das Gedächtnis bewahren: auf den Resten des Parketts stehen in einem Raum drei verkohlte Holzpfähle. Eine Text-Dokumentation der Geschichtswerkstatt hängt in einer Fotokopie in der Tür - angeknitterte Zettel, Information, die man liefern muß, mit der man sich aber weiter keine Mühe gegeben hat. Überflüssigerweise ist zudem

-und hier erhärtet sich der Verdacht des Kokettierens mit der Geschichte - das ewige theatralische Requisit des Faschismus, ein langer Ledermantel, in den Raum gehängt.

Der Boden der Etage ist uneben: bald läuft man über Schutt, bald über bloßgelegte Balken und notdürftig angebrachte Holzbretter. Die vielfarbigen Ziegelstein-Wände mit gekitteten Rissen, Übermalungen und blätterndem Putz bilden lebhafte Flächen, an denen mein Blick, von den Bildern abgeglitten, immer wieder hängen bleibt.

Sie wolle an diesem Projekt wachsen, sich der Bedeutung des Ortes langsam in einer Reihe von Ausstellungen nähern, sie sei jetzt reif für die großen Leinwände, erläutert mit Gabriele Heidecker. Mit scheint, sie hat sich da eine fatale Größenordnung als Meßlatte ihrer Kunst vorgenommen. In den Arbeiten des Paares findet keine Auseinandersetzung mit dem Ort statt, sondern eine allmähliche Okkupation, ein immer dichteres Besetzen der Räume. Ihr privates Besitzergreifen stößt besonders auf in einem Raum, den eine Serie von kleinen, gezeichneten Skizzen zum intimen Zusammenleben eines Paares wie ein Fries umläuft. Die Öffnung des Privaten wird da zum Zwang zur Intimität.

Die einzelnen Werke beanspruchen in diesem Rahmen einen inhaltlichen Zusammenhang, der mir nicht sichtbar wurde. Deshalb will ich auf die Reihe der Bilder, die eine abstrakte Figuration variieren, auf die goldenen Bücher, auf die vielen schwebenden und pendelnden Skulpturen und symbolischen Zeitobjekte, die sonst meine Vorstellung schon gereizt hätten, nicht eingehen. Aber wenigstens einen Hinweis auf die beeindruckendste Skulptur will ich nicht unterschlagen: eine getrocknete und zerknautschte Rinderhaut schießt gleich einem fossilen fliegenden Fisch über den Schutt.

Katrin Bettina Müller

Zeitschleife 1988 in der Kaserne Werner-Voss-Damm 54. Do-Mo 17-20 Uhr, bis zum 16.10.

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