: Was dürfen Untersuchungsausschüsse?
■ Warum weigern sich deutsche Parlamente seit Jahrzehnten, Gesetzesregelungen für ihre Untersuchungsausschüsse zu erlassen? Die Folge:In den letzten fünf Jahren 43 Urteile gegen die Ausschüsse...
Mainz (dpa) - Das hat der Deutsche Juristentag, seit 1860 Gesprächsforum der deutschen Rechtsgelehrten, in seiner langen Geschichte noch selten erlebt. Einen nüchternen Vortrag zum „Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse“ hatten die Juristen erwartet, doch als der Referent, Prof.Hans-Peter Schneider aus Hannover zum Thema kam, berichtete er von seinen „Alpträumen“.
Das Institut des parlamentarischen Untersuchungsausschusses sei in Gefahr, „ad absurdum“ geführt, zur „Karikatur“ zu werden.
Der schlechte Schlaf des Hochschullehrers hat einen guten Grund: Seit mehr als 60 Jahren fordern die Juristen praktikable gesetzliche Grundlagen für die Arbeit der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse - ohne Ergebnis. Dabei ist die gesetzliche Bestimmung der Befugnisse und Schranken der Untersuchungsausschüsse, wie die Referenten des Juristentages bestätigten, dringend: Von insgesamt 28 Untersuchungsausschüssen des Bundestages wurden allein acht in den vergangenen fünf Jahren eingesetzt.
Seit 1946 installierten die Länderparlamente 220 Ausschüsse, seit 1983 immerhin 48. Doch mit zunehmender Bedeutung der Ausschüsse als parlamentarische Kontrollorgane wuchs, so der Trierer Professor Meinhard Schröder, die Gefahr des Mißbrauchs zu politischer Propaganda.
Diese Entwicklung wird begünstigt durch das bewußte Unterlassen des Gesetzgebers, für Klarheit zu sorgen. So stützen sich seit eh und je die Parlamentarier im wesentlichen auf die „sinngemäße“ Anwendung der Strafprozeßordnung - ein untaugliches Instrument zur parlamentarischen Wahrheitsermittlung. Schneider: „Wie man vom Richter nicht verlangen darf, daß er nach politischen Präferenzen urteilt, sollte man umgekehrt den Abgeordneten auch nicht an der Elle richterlicher Distanz und Unabhängigkeit messen wollen.“
Die Bedeutung der Untersuchungsausschüsse auf der einen, die fehlende gesetzliche Absicherung ihrer Arbeit auf der anderen Seite hatten in den vergangenen Jahren eine Prozeßlawine zur Folge, unter der, so Schneider, „auch das schärfste Instrument parlamentarischer Regierungskontrolle abstumpfen“ müsse. Seit 1949 ergingen 63 Gerichtsentscheidungen zur Arbeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, davon gut zwei Drittel, nämlich 43, in den vergangenen fünf Jahren.
Die Gründe für die bemerkenswerte Untätigkeit des Gesetzgebers wurden auf dem Juristentag in Mainz offen genannt. Weder die Mehrheit noch die Opposition sei, stellte der frühere rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Bickel fest, an einer gesetzlichen Regelung ernsthaft interessiert.
Der Regierungsmehrheit fehle der Wille, weil Selbstbindung an ein Verfahrensgesetz „anstelle freier Verfahrensgestaltung“ den Handlungsspielraum beschränke, die parlamentarischen Minderheiten blieben passiv, weil ein Gesetz „Bremswirkung“ haben und so dem Ausschuß seinen Zweck als „politisches Kampfmittel“ nehmen könnte.
Kaum jemand glaubt noch, daß zwei dem Bundestag vorliegende Gesetzentwürfe Chancen haben, jemals vom Bundespräsidenten unterzeichnet zu werden. Der 57.Deutsche Juristentag wollte sich trotz allem für eine gesetzliche Regelung aussprechen und dazu auffordern, „in gesetzgeberische Erwägungen darüber einzutreten, ob und wie zwecks reibungsloser Tätigkeit der Untersuchungsausschüsse ihr Verfahren gesetzlich zu regeln ist“ - so formulierte es der 34.Juristentag anno 1925.
Christian Bommarius
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