: Altdeutsch-rustikale Stuben
■ Zwei neue Professoren-Bücher des Steintor-Verlages: Über Wohnen in Bremen und über die Verfolgung jüdischer Ärzte zur Zeit des Nationalsozialismus
Der Steintor-Verlag, bekannt für seine stadtgeschichtlichen Veröffentlichungen, wird seriös. Senatsgelder stecken in seinen beiden neuen Bänden. Wissenschaftliche Erörterungen und Tabellen sind an die Stelle der eingängigen Texte und guten Fotos von einst getreten. Geblieben aber sind die spannenden Themen.
Der Einband ist badezimmergrün, und auf der Titelseite prangt die Radio-Bremen-Moderatorin
Ulla Hamann unter nachcolorierten Palmen. In solch spießigem Outfit präsentiert sich ein neues, dünnes Bändchen zu einem spießigen Thema: „So wohnen die Bremer“. Die Autoren: Uwe Riedel, früher Referent beim Bremer Bausenator und heute Professor für Stadtsoziologie, und Jürgen Lettau, wissenschaftlicher Mitarbeiter auf ABM.
Ein Untersuchungsteam der Bremer Hochschule hat unangemeldet an 700 Bremer Wohnungstüren geklingelt. Mit Interviews und Wohnzimmerbesichtigungen wollten die Forscher der Frage auf den Grund gehen: Was fangen die Leute mit ihrer Wohnung an? Sie wollen sich darstellen, fanden die Wissenschaftler heraus. Als Mitglieder ihrer Gesellschaftsschicht - aber auch als Individuum. Wichtigstes Mittel der Präsentation: das Wohnzimmer. Ein halb privater, aber auch halb öffentlicher Raum. Dort empfängt man/frau seine Gäste, dort zeigt man sich her.
Aber wie? Die Bremer wohnen konservativ, fanden die Autoren heraus. Altdeusch-rustikal, das ist nach wie vor der Mainstream
in den Bremer Stuben, besonders bei den über 40jährigen. Die flechten allenfalls mal ein englisches Stilmöbel ins gediegene Interieur.
Die Nachbarschaft bedeutet uns nicht viel. Auch das ist ein Ergebnis der Studie. Besonders da, wo in den 60er Jahren große Wohneinheiten gebaut wurden, um enge, gemütliche Nachbarschaftsbeziehungen zu ermöglichen, grassiert der Frust. Uwe Riedel: „Der Zwangskontakt in einem Hochhaus führt zu gegenseitiger Ablehnung“. Aber auch außerhalb der Wolkenkratzer sieht es nicht viel besser aus: Das soziale Hochstapeln verhindere freie, nachbarschaftliche Beziehungen, so die Studie. Anders war das nur bei Sozialhilfeempfängern in Kattenturm: Wer offensichtlich arm ist, hat vor den anderen Armen nichts zu verbergen.
Das nächste Forschungsprojekt der Hochschule ist bereits in Arbeit. Das Thema: Was macht Bremer Straßen und Plätze attraktiv? Was wir empfinden, wenn wir uns gedankenverloren durch die Stadt bewegen, das soll jetzt
ergründet werden. Mit „teilnehmender Beobachtung“ und mit „Tiefen-Interviews“. Na denn. In einem Heft des Steintor -Verlages wird es beschrieben werden.
Die Historikerin Charlotte Niermann und der Bremer Hochschullehrer Stephan Leibfried arbeiten schon seit Jahren zu dem Thema: Verfolgung sozialistischer und jüdischer Ärzte im Nazi-Deutschland. Nun haben sie ihre Forschungsergebnisse mit Bremer Lokalgeschichte aufgefüllt: Von den 19 jüdischen Ärzten, die 1933 in Bremen lebten, emigrierten 13. Drei überlebten das braune Reich in ihrer Heimatstadt, sie lebten in „Mischehen“, drei wurden ermordet. Den Praktiker Dr. Adolf Goldberg erschosssen die Nazis in der „Reichskristallnacht“ 1938. Zwei weitere Ärzte wurden in KZs ermordet. mw
Jürgen Lettau, Uwe Riedel: So wohnen die Bremer, 32 Seiten
Charlotte Niermann, Stephan Leibfried: Die Verfolgung Jüdischer und sozialistischer Ärzte in Bremen in der „NS„ -Zeit, 72 Seiten. Beide Bände kosten 10 Mark.
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