: „Die zweite Säule der Nato“
Große Worte fielen, als im Oktober des letzten Jahres Kohl und Mitterrand anläßlich des Manövers „Kecker Spatz/Moineau Hardi“ die Absicht verkündeten, einen „vollintegrierten, gemeinsamen Truppenverband in Form einer Brigade“ aufzustellen. Sie redeten davon, die gemeinsame „Brigade“ wäre ein Embryo für eine westeuropäische Verteidigung und ein Kristallisationspunkt für eine deutsch-französische Sicherheitspartnerschaft. Was ist daraus geworden? An diesem Wochenende hält der gemischte Stab in Böblingen Einzug.
4.200 Mann stark soll die Brigade sein. Die 2.100 französischen Soldaten werden Anfang der neunziger Jahre zusätzlich stationiert. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf ein verstärktes französisches Engagement in der Bundesrepublik. Sie werden aus der „Force d'Action Rapide“ (FAR) herausgelöst, die nicht nur für Interventionen in der Dritten Welt, sondern auch für den europäischen Kriegsschauplatz vorgesehen ist. In einer Übergangsphase kommt eines der beiden Regimenter zunächst von den bestehenden französischen Streitkräften in der Bundesrepublik.
Die deutschen Truppen stammen von der Heimatschutzbrigade 55 in Böblingen. Die Verbände aus dem Territorialheer unterstehen in Friedenszeiten nicht der integrierten Kommandostruktur der Nato wie das Feldheer der Bundeswehr. Die formelle Zugehörigkeit zur Nato-Militärstruktur ist nach wie vor ein Tabu in Frankreich, das bei allen Annäherungen an die Bundesrepublik nie in Frage gestellt wurde. Da es undenkbar ist, daß französischen Truppen in der Bundesrepublik in Friedenszeiten auf Dauer der Nato unterstellt werden, kam nur eine Zusammenarbeit mit dem Territorialheer in Frage.
Darüber hinaus will sich Frankreich nicht auf eine Beteiligung an der „Vorneverteidigung“ festlegen, sondern seine Truppen als Reserve in der „Zweiten Staffel“ halten, um nicht zu früh in eine militärische Eskalation hineingezogen zu werden. Als mobile Eingreifreserve können Bundeswehr und französische Truppen aber eng zusammenarbeiten.
Für den Krisen- und Kriegsfall gibt es bereits seit 1967 Vereinbarungen (Lemnitzer-Ailleret-Abkommen), nach denen französische Truppen der „operativen Kontrolle“ der Nato, das heißt einer einzelnen, jederzeit zurücknehmbaren Kommandogewalt, unterstellt werden. Diese Vereinbarungen sind auch die Grundlage für die Zusammenarbeit in der Brigade.
Allerdings tauchen eine Reihe von Fragen auf, die eine echte Integration der Truppen schwierig machen: von dem unterschiedlichen Dienstrecht - „innere Führung“ ist in einer französischen Armee, in der noch geprügelt wird, ein Fremdwort - über die unterschiedliche Besoldung bis hin zur Frage, ob Soldaten und Mannschaften im gleichen Saal speisen oder nicht. Frankreichs Gloria darf sich nach dem Essen einen Wein genehmigen, in der Bundeswehr herrscht dagegen striktes Alkoholverbot. Nur der Stab und das Versorgungsbataillon sind daher echte gemischte Truppeneinheiten. Der Rest bleibt national organisiert.
Dienstvorgesetzte bleiben die nationalen Kommandeure, der Einsatzbefehl wird jeweils an den Brigadekommandeur delegiert. Dieser wechselt alle zwei Jahre und ist zunächst ein Franzose. Nicht zufällig wurde die Einrichtung einer Brigade während des deutsch-französischen Großmanövers im letzten Herbst verkündet. Dort sind die Probleme der militärischen Kooperation deutlich geworden: Von den mangelnden Sprachkenntnissen über die unterschiedlichen Einsatzgrundsätze bis zur mangelnden Abstimmung der Waffensysteme. Außer Verpflegung und Treibstoff können französische Flugzeuge auf westdeutschem Boden keine Unterstützung erfahren; und selbst die Munition der Waffensysteme ist oft nicht standardisiert.
„Die Brigade wird als Truppe mit Modellcharakter Möglichkeiten des Zusammenwirkens mit den Alliierten im Befehlsbereich Europa-Mitte auf taktisch-operativem und logistischem Gebiet sowie Grundsätze für die Führung und Ausbildung in gemischt-nationalen Verbänden entwickeln und erproben“, erläuterte das Bundesverteidigungsministerium Ende letzter Woche den Zweck der Übung.
So ist es kein Wunder, daß bereits eine zweite Brigade in der Diskussion ist. Die Spanier wollen aus Ausbildungszwecken daran teilnehmen; eine deutsch -niederländische Brigade ist in der Planung, und auch die Belgier, Briten und Italiener haben Interesse gezeigt.
Pragmatik ist angesagt: Die atomare Kooperation bricht sich am französischen „Nuklearnationalismus“, trotz der im Februar 1986 vereinbarten Konsultationen beim Einsatz französischer Kurzstreckenraketen auf deutschem Boden. Hier hätte eine Zusammenarbeit noch einen weiten Weg zurückzulegen. Der entscheidende Schlüssel für die deutsch -französische Militärachse liegt deshalb in der unspektakulären Ausweitung der konkreten Zusammenarbeit zwischen den beiden Streitkräften. Der atomare „Schutz“ für die französischen Truppen in der Bundesrepublik, den der französische Verteidigungsminister Giraud sofort betonte, wird um so eher zu atomaren Konsultationen führen, je enger die konkrete Zusammenarbeit ist.
Die Bundesrepublik rückt damit immer stärker an ein Land heran, das unerschütterlich an seine atomare Abschreckung glaubt und jeder Abrüstung abhold ist.
Der „Deutsch-Französische Sicherheitsrat“, der auch über die Aufstellung und die Einsatzplanung der gemeinsamen Brigade entscheidet, ist der deutlichste Ausdruck des französischen Interesses, die Bundesrepublik wieder stärker ins westliche Lager einzubinden. Daher gewinnen die bilateralen Beziehungen ihre Bedeutung erst im westeuropäischen Kontext: Eine Beteiligung anderer Länder an gemischten Brigaden wie am „Sicherheitsrat“ soll die „zweite Säule der Nato“ stärken und eine neue Arbeitsteilung mit den USA ermöglichen.
Der politische Symbolwert spielt bei der Brigade eine wichtige Rolle. Nicht umsonst soll sie einen eigenen Presseoffizier erhalten. Händchenhalten über den Gräbern von Verdun und Bruderkuß auf den Manöverbrücken über die Donau sollen den friedlichen Charakter signalisieren.
Politische Symbole sind nicht harmlos: „Die Idee ist zu hübsch, als daß man dagegen sein könnte“, ließ Willy Brandt spontan verlauten. Aber die Brigade ist ein wichtiger politischer Schritt, durch den die deutsch-französische Völkerverständigung nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Unterstützung für Militärkooperation und Aufrüstung umgemünzt werden soll.
Albert Statz
Der Autor ist Verfasser einer Broschüre über die militärische Zusammenarbeit BRD-Frankreich, die über die Grünen im Bundestag zu beziehen ist.
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