Der Geist des Konfuzius reichte nicht

Furiose Handballszenen beim 32:25 der UdSSR gegen Südkorea im olympischen Finale Die Niederlage der Gastgeber ersparte dem koreanischen Staat eine Menge Dollars  ■  Aus Seoul unser Herr Thömmes

Mitte der zweiten Halbzeit vibrierte die „Gymnastic Hall“ noch einmal bis in die Grundmauern. Südkorea kam auf 20:19 heran, 15.000 Zuschauer klatschten und schrien und trampelten, Fähnchen wedelten in der Luft. Ein Pausenstand von 17:11 hatte die Anfangseuphorie etwas gedämpft, doch jetzt schienen selbst die brillanten Russen zu wackeln. In dem gewaltigen Rundbau war schier der Teufel los.

„Wenn man das sieht, kriegt man Angst.“ Der Satz von Bundestrainer Petre Ivanescu bezog sich nicht auf das Publikum, er galt der atemberaubenden Spielweise der südkoreanischen Handballer. Was diese boten bei ihren Erfolgen in der Vorrunde gegen Ungarn, die CSSR und die DDR, war nicht zu vergleichen mit dem fast behäbigen Stil der Europäer: Schnelligkeit, technische Finessen, und ein unkonventionell offensives Deckungssystem. Schon vor zwei Jahren war das so, bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz. Doch mit der Abwehr klappte es nicht so richtig, und so standen den vielen erzielten Toren einfach mehr kassierte gegenüber.

Bis zu Olympia wurde die Taktik perfektioniert. Zwei oder drei Spieler stören die Konkurrenz jetzt effektiver schon weit vor dem Kreis, was zwar kräfteraubend ist und viel Koordination erfordert, aber den Nachteil an Körpergröße etwas wettmacht. Und vorne wurde getroffen wie zuvor, allen voran Kang Jae-Won, bester Werfer auch bei der WM '86.

Er nährte den Jubel auch am Samstag, doch dann stellte sich Igor Toucmak ins Tor und löste den entnervten Andrei Lavrov ab. Von dieser Minute an schwanden die Hoffnungen, auch weil die sowjetischen Stürmer nicht mehr so oft an seinem Gegenüber Yoon Tae-Il hängenblieben. Der muß sich jetzt wieder häufiger mit einer leichten Verbeugung bei seinem Trainer entschuldigen, was er immer tut, nachdem er den Ball aus dem Netz geholt hat.

Das ist er, der Geist des Konfuzianismus, dem der südkoreanische Handballpräsident einen Teil des Erfolgs zuschreibt: „Respekt vor den Älteren, Diziplin und Gehorsam vor dem Coach.“ Der Rest, sagt Kim Chong-Ha, ist wissenschaftliches Training. Es ist aber auch die zweijährige Zeit der Vorbereitung, in denen der Mannschaft alle Mittel zur Verfügung standen und in der keiner der Spieler seinen Militärdienst antreten mußte.

Die UdSSR war letztlich doch eine Nummer zu groß, zehn Zentimeter im Durchschnitt, und Handball spielen können Viatcheslav Atavin und seine Genossen mindestens ebensogut wie die Südkoreaner. Hohes Anspiel im Kreis, schnelle Tempogegenstöße, Sprungwürfe und wohltemperierte Heber, alles war zu sehen in diesem Finale. Und weil der ganze Zauber in höchter Geschwindigkeit ablief, gab es reichlich Tore.

Zweiunddreißig Mal signalisierte Yoon per Zeichensprache zur Trainerbank: Tut mir leid, hier im Eck ist das Ding reingegangen, was soll ich machen? Nichts konnte er letztlich machen, das sowjetische Kombinationsspiel lief zum Schluß wie beim Eishockey: genial und wunderschön anzuschauen.

Für das mit über 50 Milliarden verschuldete Südkorea war das ohnehin besser so. 1.000 Dollar monatlich bekommen alle Olympiasieger, das ganze Leben lang. Bei einer ganzen Handballmannschaft wird das doch ein wenig teuer.