: Theodor W. Adorno-betr.: "Wie mich das Rufen reut", taz vom 26.9.88
betr.: „Wie mich das Rufen reut“, taz vom 26.9.88
In ihrer - ansonsten lesenswerten und informationsreichen Besprechung des Frankfurter Adorno-Symposiums gibt Christiane Peitz an einer Stelle zu erkennen, daß ihr eine wesentliche Dimension des musikphilosophischen Denkens von Adorno völlig unzugänglich ist, dort nämlich, wo sie A. Riethmüllers Vergleich zwischen Nietzsche und Adorno in einer Weise abtut, als habe sich der Referent ein Sakrileg zuschulden kommen lassen, über das man nicht nur nicht diskutieren kann, sondern auch nicht diskutieren darf. Es sind meines Erachtens aber beachtliche politisch -ideologische Scheuklappen notwendig, um die hervorragende Bedeutung übersehen bzw. verleugnen zu können, die Nietzsche speziell für Adornos Denken gehabt hat, und zwar als Kritiker der traditionellen Metaphysik und Moral wie als Kritiker (und Apologet) der Wagnerschen Musik. Daß die „Dialektik der Aufklärung“ in vielerlei Hinsicht ein „nietzsche-marxistisches“ Buch darstellt (mit allen damit verbundenen Problemen), dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Nicht minder wichtig ist die Tatsache, daß Adornos musikalische Schriften ohne Nietzsches Wagner-Kritik und übrigens auch ohne den von Wagner überhaupt erst kreierten emphatisch geschichtsphilosophischen Diskurs der Musik schlechterdings nicht vorstellbar sind. Von einem bestimmten Kunstwerk und seinen individuellen Materialcharakteristiken als von dem philosophischen Ereignis der Zeit zu reden (und zu schreiben), von dem aus die zentralen Fragen des modernen gesellschaftlichen und kulturellen Lebens wenn auch nicht sich lösen, so doch sich dechiffrieren lassen, diese Sicht der ästhetischen Dinge hat Adorno zweifellos weder von Hegel noch von Marx noch auch von Schelling, sondern nun einmal nur von Nietzsche und eben von Wagner „lernen“ können. Riethmüller ist sehr im Recht, wenn er - unbekümmert um die Klischees des sogenannten politischen „Standortes“ - auf solche sachlich substantiellen Zusammenhänge aufmerksam macht. Ist es nicht allmählich an der Zeit, das Phantasma aufzugeben (dem Adorno selbst nie verfallen ist), man könne zwischen guten linken Aufklärern und bösen rechten Irrationalisten eine Art spanische Wand aufrichten? Zum Schluß zwei Adorno-Zitate: Nietzsche hat bis heute von allen am meisten zur sozialen Erkenntnis von Musik beigetragen; er fand für diese Implikationen Wagners die Worte. (Einleitung in die Musiksoziologie, S.81), und Nietzsches Kritik an Wagner war vom Schlag solcher höheren Kritik (GS 16, S. 191), deren Realisierung Adorno ein ganzes Philosophenleben lang beschäftigt hat.
Richard Klein, Horben
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen