: Opfer, weil er kein Opfer sein wollte
In Münster übergoß sich Andreas Fox-Lehmann mit Benzin und verbrannte sich öffentlich - Ein Mensch, der die Umgestaltung dieser Gesellschaft wollte und an der Unterdrückung der Menschen in der Dritten Welt litt, verzweifelte an seiner unfreiwilligen Mitbeteiligung an der Ausbeutung ■ Aus Münster Christoph Busch
Kurz nach sieben Uhr morgens fuhr Andreas Fox-Lehmann mit seinem Auto auf den Hof der Facharbeiter-Ausbildung GmbH (FAA) am Nienkamp. Er betrat das Büro, setzte seine Aktentasche ab und verließ das Gebäude mit der Bemerkung, er müsse noch etwas aus dem Auto holen. Auf dem Hof übergoß er sich mit Benzin aus einem Kanister.
Als Andreas brannte, rief er: „Freiheit für Kurdistan! Freiheit für Palästina! Freiheit für Mandela!“ FAA -MitarbeiterInnen löschen den brennenden Mann, der bis zum Eintreffen des Krankenwagens auf dem Boden hockte und sagte: „Diese Welt ist so schlecht. Ich mache das alles nur aus Liebe für diese Welt ...“ Einen Tag später starb er im Krankenhaus.
Andreas, 1956 geboren, war Anfang der 80er Jahre bei der Besetzung der leerstehenden Häuser in der Sertürnerstraße dabei, die bald für den Straßenbau geräumt wurden. Sein Physikstudium bricht er ab und schafft das Geld für seine Frau Sigune und - nach und nach - drei Kinder per Taxifahren an. Andreas und Sigune sind in verschiedenen politischen Gruppen aktiv. Das Arbeitsamt vermittelt ihm eine Umschulung bei der FAA. Im Oktober 1986 besteht Andreas die Gesellenprüfung als „Wärme-, Kälte- und Schallschutzisolierer„; ein Beruf, den er für ökologisch vertretbar hält. Seit einer Operation 1987 ist er arbeitslos.
„Kämpft für eure Rechte!“ Das ist Andreas‘ Motto. Er sieht hinter den „kleinen“, alltäglichen Ungerechtigkeiten die weltweiten Sauereien: Ich arbeite in einer Firma, die einen Konzern beliefert, der in der Dritten Welt dies und das verbricht. Alle Schweinereien dieser Welt schlagen unverdrängt durch bis in sein Herz. Er kann Glück und Liebe hier nicht leben, solange woanders Menschen nicht zuletzt wegen der Verhältnisse hierzulande verhungern oder gefoltert werden. Wie kann ich mit meinen Kindern spielen, solange kurdische Kinder vergast werden, fragt sich Andreas. Er ist ein Opfer der Verhältnisse, weil er kein Opfer sein, nicht abstumpfen wollte. Andreas steht unter Druck. Es muß etwas passieren. In politischen Gruppen übersieht er dabei gelegentlich Fähigkeiten und Bedürfnisse der anderen. Als die Acoyapa-Gruppe eine Brigade für Nicaragua zusammenstellt, wird Andreas als Brigadist abgelehnt. Er hat sie erschreckt, weil ihm der eigenhändige Kampf mit der Waffe gegen die Contras selbstverständlich scheint. Beim Arbeitslosenblatt 'Sperre‘, wo Andreas lange mitarbeitet, bringt er in Mengen Materialien über die Dritte Welt ein. Das ist überraschend für manche, für die es erst mal wichtig ist, sich mit ihrer Arbeitslosigkeit zu beschäftigen.
Im Februar dieses Jahres dokumentiert der WDR in einer Hörfunk-Sendung, daß sich „mit vom Arbeitsamt geförderten Kursen gute Geschäfte machen lassen“. Erst recht, wenn nach hiesigen Gesetzen Betrug ins Spiel kommt. Eines der Fallbeispiele: die FAA-Werkstättenkette mit mehr als 100 Niederlassungen, eine davon die FAA am Nienkamp in Münster. Die Münsteraner FAA-Filiale ist nicht angetan von Andreas‘ Bemühungen, mit Hilfe der - auszugsweise auch in der 'Sperre‘ abgedruckten - Sendung eine Doppelfunktion derartiger Einrichtungen deutlich zu machen: Geschäft neben Befriedung Unzufriedener.
Nicht daß die FAA konkret und allein eine Erklärung für Andreas‘ Tod und die Wahl des Ortes liefern könnte. Die FAA war für Andreas nur ein kleines Rädchen in der riesigen Maschinerie zur Ruhigstellung potentieller RevolutionärInnen in den Metropolen. Er selbst aber hat seine eigene Umschulung dort straight und mit besten Abschlußnoten durchgezogen, obwohl er manchmal gerne die Brocken hingeworfen hätte. Und er hat sich dort gleichzeitig kräftig für seine Kollegen und seine politischen Anliegen eingesetzt.
Vielleicht ist das der Zipfel einer Erklärung: Während seiner Umschulung hat Andreas am eigenen Leibe den Widerspruch erfahren, daß befriedende Maßnahmen, die grundsätzliche Veränderungen erschweren, subjektiv dem einzelnen erst einmal gut tun können. Er hat sich darauf eingelassen und „trotzdem“ weiterkämpfen können. Und dann bekommt er durch das Radio nachgeliefert, was er abstrakt längst „wußte“: Die, die er bekämpft, haben an ihm verdient. Das ist keine Desillusionierung, sondern Bestätigung für Andreas‘ Vermutung und Gefühl, daß Kleinarbeit es nicht bringt, nicht integrierbar, nicht radikal genug ist, daß er für sich die Latte nie wieder so niedrig legen darf. In der FAA heißt es, Andreas sei gekommen, um ausgeliehene Bücher zurückzubringen. In der Aktentasche, die Andreas im Büro zurückließ, fand die Polizei angeblich Schriften zum antiimperialistischen Kampf. Zum weiteren Inhalt der Tasche und zum Ergebnis der Durchsuchung von Andreas‘ Wohnung will die Polizei nichts sagen. Sie hätten gemeinsam im Fernsehen die Bilder gesehen, wie israelische Soldaten Palästinensern mit Steinen die Arme brechen, erzählt ein Freund. Andreas habe heulend vor der Kiste gesessen: „Wir sitzen hier und fressen!“ Und er, der Freund, habe gesagt: „Jeder, wie er kann.“ Andreas hat mehr gewollt.
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