: Mexikaner erinnern an Massaker
Hunderttausende demonstrieren / Am 2.Oktober 1968 war Studentenkundgebung vom Militär und Polizei blutig aufgelöst worden / „Wir werden die Toten nicht vergessen“ / Rücktritt der Regierung Salinas gefordert ■ Aus Mexiko-Stadt Reimar Paul
Mit zahlreichen Demonstrationen und Aktionen wurde am Wochenende in Mexiko an den 2.Oktober 1968 erinnert: zum zwanzigsten Mal jährte sich der Tag, an dem Armee und Polizei eine Studentenkundgebung aufgelöst und mehr als 300 Menschen erschossen hatten. Allein in der Hauptstadt zogen am Sonntag abend Hunderttausende zum „Platz der drei Kulturen“, dem Schauplatz des blutigen Geschehens.
Dutzende von Bussen, die mit Parolen bemalt wurden, Hunderte von besprühten Wänden und Schaufensterscheiben, Tausende von Plakaten, immer wieder eingelegte Schweigeminuten und lautstarke Sprechchöre - „Wir vergessen nicht“, „Das Volk wird siegen“ - prägten das Bild des kilometerlangen Zuges. In ihren Kundgebungsbeiträgen ließen Veteranen der mexikanischen Studentenbewegung das damalige Geschehen auch für die jüngeren DemonstrationsteilnehmerInnen noch einmal Revue passieren.
Auf dem Höhepunkt der damaligen Jugendrevolte, die durch internationale Zusammenhänge wie das Erstarken der lateinamerikanischen Guerilla und den Protest gegen den vermeintlichen Wohlstand und die schleichende Nordamerikanisierung des Landes geprägt war, hatte der Staatspräsident Diaz Ordaz am 2.10.1968 persönlich das „Brechen der Rebellion mit allen Mitteln“ angeordnet. Schwer bewaffnete Soldaten und Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei umstellten 10.000 StudentInnen und schossen ohne Vorwarnung mit Gewehren und Maschinenpistolen eine dreiviertel Stunde lang in die Menge. Bilanz des Massakers, das seinerzeit weltweite Proteste auslöste: annähernd 2.000 Verhaftete, 1.000 Verletzte und eine von der Regierung bis heute geheimgehaltene Zahl von Toten. 389 waren es laut einem Korrespondentenbericht der englischen Zeitung 'Guardian‘.
Mehrere Redner beschworen am Sonntag die „historischen Parallelen“ zwischen 1968 und 1988. Zwar würden heute nicht mehr - „oder noch nicht wieder“ - Demonstrationen zusammengeschossen. Die demokratischen und revolutionären Bewegungen seien jedoch auch heute „von Repression, Terror und Entführungen“ betroffen. Die vor kurzem von Menschenrechtsorganisationen veröffentlichten Zahlen bestätigen das: Während der jetzt zu Ende gehenden sechsjährigen Regierungszeit Miguel de la Madrids wurden mehr als 60 linke Lehrer und 30 Journalisten aus politischen Gründen ermordet. Und in der Zeit seit dem 6.Juli, also nach der Präsidentschaftswahl, sind mindestens acht Aktivisten verschiedener Oppositionsparteien von „Unbekannten“ erschossen worden.
Und so wurde am Sonntag nicht nur des Massakers von Talteloloco gedacht, sondern von den DemonstrantInnen auch der Rücktritt der Regierung unter Salinas und die Ernennung des Oppositionsführers Cuauhtemoc Cardenas zum Präsidenten gefordert.
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