: Das Ende einer Ära, die es nicht gab
■ Von Klaus Hartung
Mit Strauß geht der letzte bedeutende Politiker der Adenauer -Zeit. Aber nichts wäre falscher, als vom Ende einer Ära zu sprechen; schon gar nicht von einer Strauß-Ära. Die hat es nie gegeben, zumindest nicht für die gesamte Republik. Und selbst bei Bayern möchte man zweifeln. Zu sehr war seine Ministerpräsidentenschaft eine Autokratie zweiter Wahl. Er und seine Spezis konnten im Stile einer südamerikanischen Kompradorenclique herrschen. Aber diese Herrschaft war eben eher an seine Physis als an politische Prinzipien geknüpft. Zu sehr und zu direkt verteidigte er die menschenverachtende Position eines Industrialismus vom Main-Donau-Kanal bis zur WAA, eine Position, die sich nicht mehr mit politischen Prinzipien, sondern nur durch direkten politischen Druck bis hin zum oberfränkischen Landrecht aufrechterhalten ließ. Als oberster Lobbyist seines Landes, seiner Geschäftsfreunde, seiner Spezis war er sicher erfolgreich. Der Politiker Strauß war immer gut für erfolgreiche Erpressungen. Wie jeder Erpresser teilte auch er aber jedoch und mehr das logische Schicksal einer solchen Profession: Auf Dauer sind die Erpreßten stärker.
Unübersehbar: Die politischen Nachrufe häuften sich in letzter Zeit. Im April konnte die Zeitschrift der CDU -Ausschüsse, die 'Soziale Ordnung‘, Strauß als alternden Alkoholiker und „raunzenden Knöterich“ seines „Tümpelhofstaates“ darstellen. Bei dem Streit um die Steuerbefreiung für Flugzeugbenzin hatte er etwas zum Vorschein gebracht, was man nur vom Hörensagen kannte - die meuternde CSU-Basis. Mehr noch: Erstmals nutzten CSU -Spitzenpolitiker wie Waigel die Gelegenheit, zum großen Vorsitzenden auf Distanz zu gehen. Im Juli bezeichnete Hiersemann, Chef der Bayern-SPD, die Strauß-Kandidatur für die Landtagswahl als die „größte Hilfe“ für die SPD.
Allein derlei Nachrufe, auch wenn sie jetzt plausibler sind, gehörten längst zu seiner politischen Karriere. 1979 bezeichnete Wehner ihn als „alternden Macchiavellisten“, und der 'Spiegel‘ versuchte ihm schon vor der Großen Koalition, als es um das Amt des Finanzministers ging, das Image des Verlierers anzuhängen. Eine Publikationsstrategie, die auf die Dauer gewiß erfolgreich war. War Strauß bis zur 'Spiegel'-Affäre zu jung, um Kanzler zu werden, und nach der 'Spiegel'-Affäre ein alternder Politiker, der um seine verlorene Zukunft kämpfte? Und seine Erbschaft? Kann die CSU -Herrschaft bewahrt werden mit einer Diadochen-Schar von Stoiber bis Gauweiler, die im harten Ausleseprozeß um die Strauß-Intimität übriggeblieben sind? Können politische Bull -Terrier, die Angriffslust mit Servilität verbinden, ein Erbe verteidigen? Und vor allem welches Erbe?
Aber wenn auch das Bild des Verlierers Strauß in der letzten Zeit dominant wurde, wenn es sich geradezu versöhnlich über seine Karriere lagerte - erklären tut es wenig, und seiner politischen Rolle wird es schon gar nicht gerecht. Er war der politische Alptraum der Linken, die personifizierte Drohung einer „anderen Republik“ von rechts. Auch wenn es nie eine Ära Strauß gab, hat Strauß gleichwohl bei allen politischen Wendepunkten wie kein anderer die Auseinandersetzungen zugespitzt. Er hat in seiner Person die Interessenlagen bundesrepublikanischer Politik herausgebracht. Gegenüber den Technokraten des Wohlfahrtsstaates war er Ideologe, was wiederum seiner Rolle als Lobbyist widersprach. Er war der Demagoge des militärisch-industriellen Komplexes und in demselben Moment untauglich als Führer einer Volkspartei. Er war ein Populist, der das Volk letztlich aufbrachte. Zu deutlich war sein demagogischer Ansatz mit seinen privaten und seinen allgemeinen politischen Interessen verquickt: Jüngstes Beispiel ist die Aids-Kampagne. Es gelang ihm nicht, die verfassungsrechtlichen Garantien für das Individuum im Namen der Seuchenabwehr zu unterminieren. Generelles Beispiel für das Scheitern als rechter Demagoge ist die Fortexistenz des rechtsstaatlichen Flügels der FDP. Kein anderer als Strauß hat das mürbe Rückgrat jener FDP-Politiker gestärkt.
Die Liste eines negativen Nachrufes ließe sich mühelos verlängern. Und endlich müßte man feststellen: Als prominentester Lobbyist der Nation gehörte er sicher zu den kostspieligsten deutschen Politikern, angefangen von dem berüchtigten Schützenpanzer HS 30, über den fehlkonstruierten deutschen Starfighter, der den Traum von der Atom-Macht Deutschland verwirklichen sollte, bis hin zum Airbus. Aber all das aufzuzählen wäre schal, wenn nicht zugleich gesehen wird, daß er wie kein anderer deutscher Politiker den Streit suchte, Leidenschaften weckte und in seinen Wirkungen widerspruchsvoll war und Widersprüche hervorrief.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen